„Bremen ist an einigen Stellen Vorreiter“

Überseestadt und Co: In Bremen entstehen gerade diverse nachhaltige Gebäude, weitere sind in der Planung. (Illustration: Überseeinsel GmbH)

Bremen. In vielen Großstädten – so auch in Bremen – fehlen seit langem Wohnungen, die Mieten steigen immer weiter. Gleichzeitig gibt es an anderer Stelle Leerstand. Wie lassen sich diese Probleme am besten lösen?

Oliver Platz: Wenn das so einfach in einem Satz zu beantworten wäre, dann stünden wir heute sicherlich an einem anderen Punkt. Im Moment sind die Rahmenbedingungen für Investitionen in Wohngebäude nicht gut. Erst wenn es sich wieder lohnt, zum Beispiel Wohnungen im Neubau und im Bestand zu bauen, dann wird dies auch im großen Stil passieren. Die Zinsmärkte und Baupreise wirklich zu beeinflussen, ist schwierig. Was wir tun können, ist, die Anforderungen zum Beispiel an den Umbau zu prüfen und zu deregulieren. Wenn wir wieder einfacher bauen dürften, könnten wir auch wieder günstiger bauen. Das heißt nicht, dass wir unsere Schutzziele wie Klima, Denkmal, Brandschutz oder Barrierefreiheit über Bord werfen. Aber so, wie wir im Moment planen und bauen, ist es zu kompliziert geworden. In Bremen ist gerade eine Änderung der Landesbauordnung unterwegs, die erstmals überhaupt anerkennt, dass der Umbau nicht alles leisten kann wie ein Neubau. In diese Richtung ist zügig weiterzudenken.

Das Thema CO2-Einsparung ist gerade in der Baubranche allgegenwärtig. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?

Aktuell ist ja „nur“ der Energieverbrauch von Gebäuden reglementiert, nicht die CO2-Bilanz über die gesamte Lebensdauer. Da müssen wir aber dringend hin, denn das ist die ehrliche und umfassende Aussage über die Klimawirksamkeit des Bauens. Wie viel Energie wird für die Herstellung der Baustoffe benötigt? Wie wird das Haus mit Energie versorgt? Wie können die verwendeten Baustoffe später wiederverwendet werden? Und auch städtebauliche Argumente müssten mitbetrachtet werden: Wie weit ist der Weg zur Arbeit, zum Supermarkt, zur Schule? Wieviel Infrastruktur und Verkehrsflächen entstehen zusätzlich zum eigentlichen Gebäude?

Inwieweit ist die heutige Architektur bereits von nachhaltigem Bauen geprägt?

Sehr. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg – aber es kann auch noch schneller gehen. Und es ist noch zu kompliziert – die Möglichkeiten der Digitalisierung werden noch nicht ausreichend genutzt. Allein die Instrumente, die jede Architektin und jeder Architekt im Berufsalltag anwenden kann, sind sukzessive im Aufbau – Bauteildatenbanken etwa, die dann aber auch allen zur Verfügung stehen müssen. Dort liegt der Teufel leider im Detail…

Wie unterscheidet sich die heutige Herangehensweise an das Bauen von der früher üblichen?

Das ist natürlich abhängig von der konkreten Konstellation aller Beteiligten – was will und kann der Bauherr, was können die Ausfüh-renden, welche Planenden sind dabei? Insgesamt zeichnet es sich ab, dass zum Beispiel beim Holzbau sehr viel früher im Planungsprozess gemeinsam überlegt wird, wie etwas passieren soll. Im Massivbau gibt es ähnliche Entwicklungen. Digitale Instrumente wie das gemeinsame Arbeiten am gleichen 3D-Modell wird teilweise schon umgesetzt und wird sicher die Zukunft sein.

Welche konkreten Maßnahmen werden bei Bauprojekten ergriffen, um die Umwelt zu schonen?

Da gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen, die sich ergänzen. Der Verbrauch in der Nutzung ist natürlich wesentlich. Aber eine echte Energiesparmaßnahme ist es auch, wenn man ein Haus baut, das eine möglichst lange Lebensdauer hat – idealerweise auch über verschiedene Nutzungen hinweg. Das zielt auf die Energie ab, die für die Erstellung des Gebäudes und den möglichen Rückbau verwendet werden muss. Die Energieeffizienz in der Betriebsphase von Gebäuden ist stark reguliert, gerade auch bei der staatlichen Förderung. Das lässt sich nicht grenzenlos weiter ausbauen, denn das hat auch etwas mit Nutzerverhalten, der Menge an Haustechnik und der Menge an dafür notwendigen Baustoffen zu tun. Für den Betrieb ist es aber wichtig, die verwendete Energie möglichst CO2-neutral zu erzeugen – zum Beispiel über Erdwärme, Photovoltaik oder ähnliche Technologien. Hier ist eine möglichst konkrete kommunale Wärmeplanung unabdingbar. Davon kann gerade auch der Gebäudebestand beim Umbau profitieren, denn diesen wird man in der Fläche nicht mit verhältnismäßigen Mitteln auf einen Neubau-Effizienzstandard bringen können…

Wie schätzen Sie die Situation für Bremen im Bereich „Nachhaltiges Bauen“ ein?

Ich glaube, wir stehen in Bremen recht gut dar, viele Einzelprojekte zeigen das. Ganz aktuell ist zu melden: Vor wenigen Tagen hat die Entwicklung der Überseeinsel den „Polis Award“ in der Kategorie „Urbanes Flächenrecycling“ gewonnen. Gerade als Stadtstaat müssen wir die Frage der Flächen(aus)nutzung besonders effizient angehen. Dazu zählen insbesondere die Innenentwicklung und der richtige Umgang mit Konversionsflächen. Nachhaltigkeit im Bauwesen fängt schon an dieser Stelle an, auf der städtebaulichen Ebene. Da ist Bremen tatsächlich an einigen Stellen Vorreiter, das muss man auch einmal so sagen.

Haben Sie Tipps, wie das Land Bremen das Thema langfristig angehen sollte?

Das politische Ziel der Klimaneutralität bis 2038 ist gesetzt und insofern nicht verhandelbar. Das gilt auch für den Bau- und Gebäudesektor, der etwas träger in Transformation ist als andere Sektoren – das liegt aber in der Natur der Sache. Die Politik ist für die Rahmenbedingungen und Anreize zuständig. Ich weiß, Bremen hat kein Geld, aber wir brauchen auch Landesmittel als Fördermittel für klimaschonende Investitionen in Gebäude. Und nochmal: Vor allem müssen wir uns entknoten, müssen einfacher im Bauen werden. Das heißt: Wir brauchen eine stetige Arbeit an der Landesbauordnung, insbesondere was den Umbau angeht. Das ist derzeit ein echter Hemmschuh, überhaupt ein Bestandsgebäude anzufassen – energetisch sinnvolle Maßnahmen inklusive. Der Blick über den Tellerrand kann helfen, in Niedersachsen ist derzeit eine noch weitergehende Novelle des Landesbauordnung unterwegs.

Das Gespräch führte Guido Finke.

ZUR PERSON

Oliver Platz ist seit 2016 Präsident der Architektenkammer Bremen. Im November 2020 wurde der gebürtige Bremer von den Kammermitgliedern wiedergewählt und trat seine zweite Amtszeit an.