Milchvieh macht den Großteil der Blocklander Landwirtschaft aus, da es sich hier überwiegend um nicht ackerfähige Fläche handelt. (Foto: Jonas Kakó)
Vom Deich beschützt, dahinter die Wümme und zu Füßen das größte zusammenhängende landwirtschaftliche Gebiet Bremens: das Blockland. 3030,4 Hektar misst der Ortsteil, wobei die feuchte Grünfläche den Löwenanteil ausmacht. Auf der restlichen Fläche, circa zehn Prozent, reihen sich Haus und Hof, aufgeteilt in Ober- und Niederblockland, aneinander.
Mit seinen 398 Einwohnern kann das Blockland mit charmantem Dorfcharakter aufwarten. Vom Deich aus, auf dem die Gebäude und Höfe errichtet wurden, offenbart sich zu der einen Seite die Sicht auf die Skyline Bremens – geprägt durch den Fernmeldeturm, die Recycling-Station und den Fallturm der Universität Bremen. Zur anderen Seite lässt der Blick über Schilf, Wümme und Bäume bereits Niedersachsen erahnen.
Pure Entschleunigung in Bremens dörflichsten Stadtteil
Der Landstrich ist eines der wichtigsten Naherholungsgebiete der Stadt. An sonnigen Tagen strömen die Gäste zuhauf ins Blockland, zu Fuß, auf dem Rad oder auf Inlineskates, manche gar auf dem Segway, und erkunden Bremens dörflichsten Stadtteil. Und dafür braucht es Zeit, denn das Leben läuft hier ruhiger ab als in der Stadt. „Wenn ich über den Kuhgraben ins Blockland komme, über die Autobahnbrücke und den kleinen Berg dort hinunter, dann entschleunigt sich alles. Du hast zwar denselben Stress wie vor einer Minute, aber wenn du hier reinkommst, siehst du diese unglaubliche Weite“, sagt Harje Kaemena.
Die Familie des Groß- und Außenhandelskaufmanns hat ihre Wurzeln – wie so viele Blocklander – seit Generationen im Blockland. Die Einwohner, einst überwiegend Landwirte, sind heute gelernte Bankkauffrauen oder Studenten der Lebensmitteltechnik. Landwirtschaft – zumeist Milchwirtschaft, da es sich beim Blockland überwiegend um nicht ackerfähige Fläche handelt – wird zwar nach wie vor betrieben, nimmt jedoch ab. Was bleibt, ist der Hang zur Tradition: Auch heute treten die Blocklander Vereinen wie den Landfrauen, der Landjugend oder dem Heimatverein Blockland bei. Es ist die Gemeinschaft, die Verbundenheit mit dem Blockland als Heimat, die in Ehren gehalten werden soll.
Mit gutem Beispiel vorangehen
„Ich habe die Entstehung des Vereins vor knapp 30 Jahren mitbekommen. Wenn sich keine neue Generation dafür engagiert, stirbt diese Dorfgemeinschaft – wie es auf vielen Dörfern geschieht – aus. Das möchte ich nicht. Deswegen muss ich mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Tina Schnakenberg, Vorstandsmitglied des Heimatvereins. Bei derzeit 177 Mitgliedern sei es jedoch schwierig, den Vorstand zu besetzen, die Zeiten hätten sich geändert: Damals, bei Entstehung des Vereins, wurde das Dorfgemeinschaftshaus, das aus drei Gebäuden besteht, noch von den Mitgliedern selbst renoviert. Mit der Lage am Niederblockland 20 befindet sich das Gebäude zentral im Stadtteilkern und bildet, neben dem Platz vor der Kirche, den Mittelpunkt für die Dorfgemeinschaft. 1989 investierten die Mitglieder des Vereins unzählige Arbeitsstunden und Kraft in das alte Bauernhaus. „Alle zusammen haben daran mitgebaut; das wäre heute gar nicht mehr möglich“, sagt Schnakenberg.
Die heute 35-Jährige war bereits in der Landjugend vertreten: „Als ich mit 28 Mutter wurde, bin ich aus der Landjugend ausgetreten, wobei ich sie bis heute noch unterstütze. Und ich war sogar schon vorher Mitglied im Heimatverein.“ Ein durchaus üblicher Ablauf, bestätigt Laura Bavendamm. Sie ist Mitglied der 1981 gegründeten Landjugend Blockland. Mit 15 Jahren darf man dort eintreten, das derzeit älteste Mitglied ist 30 Jahre alt. Nicht selten sind die Mitglieder – wie Schnakenberg – in mehreren Gemeinschaften zeitgleich aktiv. Wobei aktiv nicht immer tatkräftig bedeutet. Es sei stets derselbe Kern, der Unterstützung anbiete; ob bei Veranstaltungen oder beim Aufräumen im Anschluss: „Die, die immer dabei sind, das sind meistens so 20 Leute. Wir haben auch viele, die woanders studieren oder woanders hingezogen sind. Die sieht man nicht mehr ganz so häufig.“
Bei einer Gemeinschaft von rund 70 Mitgliedern sei das eine ernüchternde Zahl. Den Austritt, wenn ein Mitglied weggezogen sei oder auswärts studiere, fordere der Verein jedoch nicht. Zudem dürfe jeder beitreten, der sich für Spaß und die Gemeinschaft einsetzen wolle. Auf der Facebook-Seite der Landjugend heißt es: „Wir heißen zwar LANDjugend, aber sind lange nicht mehr alle Landwirte oder kommen zwangsmäßig vom Land. Bei uns ist jeder willkommen und wir haben so auch schon einige ,Städter' aus der Umgebung unter uns.“
Die Jüngeren wollen etwas anderes erleben
Wo ist sie also, die Tradition und der damit verbundene Zusammenhalt, der generationsübergreifend weiter getragen werden soll? Durch den Strukturwandel ist Zeit auch hier ein teures Gut geworden; entsprechend der aktuellen Lage und Entwicklungen in der Landwirtschaft, mehr denn je. Berufliche Perspektiven und Ausrichtungen ändern sich, im Blockland wie in jedem anderem Stadtteil Bremens. Schnakenberg räumt Verständnis für Mitglieder ein, die sich weniger aktiv gäben: „Ich habe auch nicht immer die größte Lust und bin nicht immer die Aktivste. Ich habe eine kleine Tochter und arbeite vormittags.“ Und auch Hans Heinrich Garbade, ebenfalls Vorstandsmitglied des Heimatvereins Blockland, will niemanden zwingen, sich zu beteiligen: „Wir haben von anderen Vereinen gehört, dass zum Teil Vorgaben bestehen, dass sich jedes Mitglied einbringen muss. Wir versuchen, es jedoch freiwillig zu halten.“
Doch nicht alles im Verein ist rückläufig – im Gegenteil: Neue Veranstaltungen wurden auf den Weg gebracht. „Man muss sich erst mal wieder etwas Neues einfallen lassen, um die Menschen zu motivieren“, sagt Garbade. Hierfür wurden zum Teil alte Ereignisse aufgepeppt; beispielsweise die Weihnachtsfeier, die bei den vergangenen Malen immer weniger besucht wurde. Schnakenberg: „Jetzt haben wir den Glühweinabend in der Grillhütte mit Bratwurst und Glühwein als Weihnachtsfeier.“
Die geräumige, offene Grillhütte samt Feuerkorb auf dem weitläufigen Gelände des Dorfgemeinschaftshauses, hat die Landjugend 2007 in einer sogenannten 72-Stunden-Aktion erbaut. Hierfür erteilte die Niedersächsische Landjugend e.V. die Aufgabe, etwas Gemeinnütziges zum Wohle des Dorfes und des Vereins zu errichten. Bavendamm sagt: „Unser Fokus liegt auf der Gruppe, dass wir Dinge zusammen machen und dass wir dabei alle Spaß haben. Wir haben zum Beispiel unseren Erntewagen für dieses Jahr gebaut. Dafür haben wir alle zusammen gezeltet und das ganze Wochenende miteinander verbracht.“ Auch Garbade setzt sich für den Erhalt der Gemeinschaft ein, kümmert sich um feste Termine wie das Kinderfest. Der Heimatverein und einige Mitglieder der Landjugend organisieren die Veranstaltung für das Dorf und die Öffentlichkeit.
Einige Veranstaltungen mussten trotzdem gestrichen werden. So auch der jährliche Frühschoppen, bei dem traditionell Erbsensuppe und frisch gebackener Butterkuchen aus dem hauseigenen Steinbackofen des Dorfgemeinschaftshauses gereicht wurden. Die Besucher aber blieben nach und nach aus. Diese Verluste lassen sich laut Schnakenberg leicht erklären. „Das Angebot vor 30 Jahren war noch ein ganz anderes. Da gab es keine Schlachte, da gab es nicht annähernd so viel Freizeitangebot; das hat sich enorm gesteigert.“ Dieser Meinung ist auch Garbade: „Die jüngere Generation sagt sich heute, dass sie auch mal etwas anderes erleben möchte. Unsere eigenen Generationen, unsere Kinder, die dann vielleicht auch durch Beruf oder Studium andere kennen lernen und nicht mehr Landwirtschaft lernen, die leben ihr Leben hier ganz anders. Gerade durch die neuen Medien weiß man, wo was läuft.“
Vom Dorfgemeinschaftshaus in die ÖVB-Arena
Was im Blockland läuft, zumindest organisatorisch, ist die Quotenfete: Mit anfangs 300 Gästen zog der Verein damit vom Dorfgemeinschaftshaus in die ÖVB Arena und kann heute eine Besucherzahl von rund 8000 Gästen vorweisen. „Das ganze Blockland, teilweise über 60-Jährige, kennen die Party und gehen dort hin“, sagt Laura Bavendamm.
Die Quotenfete ist die größte Landjugend-Party Deutschlands, zu der eingeladen ist, wer Lust auf eine Party mit landwirtschaftlichem Ambiente hat. Es kommen allerdings überwiegend Mitglieder anderer Verbunde und Menschen aus kleineren Gemeinden und Dörfern. Am letzten Novemberwochenende jedes Jahres findet die Feier in der Arena statt, mit Wettbewerben wie Wettmelken, Bullenreiten oder Milchkannenstemmen. Die Halle wird mit schweren landwirtschaftlichen Maschinen und Kuhmuster geschmückt, es spielen DJ´s und Live-Bands.
„Die Finanzierung der Quotenfete übernimmt, seitdem das Ganze in der ÖVB Arena stattfindet, auch das Planungsteam der ÖVB Arena. Für uns wäre es alleine absolut nicht möglich, die Party in der Stadthalle zu finanzieren, geschweige denn das finanzielle Risiko zu tragen“, sagt Landjugendmitglied Bavendamm. Der Erlös der Fete und anderer Veranstaltungen trägt aber maßgeblich dazu bei, dass es der Landjugend „finanziell sehr gut“ gehe. „Wir haben dementsprechend auch die Möglichkeiten, tolle Aktionen zu machen“, sagt Bavendamm.
Der Heimatverein hat dagegen weniger Spielraum, für die Instandhaltung des Dorfgemeinschaftshaus ist der gemeinnützige Verein auf Spenden angewiesen; man wolle aber auch mit Veranstaltungen Geld verdienen, sagt Schnakenberg. Denn viel Raum und altes Bauwerk haben ihren Preis: Die Kosten, die Pflege, Wartung und Unterhaltung in Anspruch nehmen, sind enorm. Allein die Feuerversicherung für das alte Reetdach kostet jährlich circa 2500 Euro. Auch der Strom schlägt zu Buche. „Dann mal einen Pott Farbe hier, mal Rasenmäherbenzin da; so etwas läppert sich“, sagt Schnakenberg.
Die Verteilung der Gelder wird stets offengelegt und in der Regel auf den Vereinssitzungen besprochen. Dort kann es im Heimatverein auch vorkommen, dass eine weitere Tradition zutage tritt. Denn die Gemeinschaft bewahrt, was heutzutage vom Aussterben bedroht ist: Plattdeutsch. Hans Heinrich Garbade ist einer von ihnen, ihn reizt vor allem das Gemeinschaftsgefühl der Sprache. „Wenn da welche in der Runde sitzen und Platt schnacken, dann hört man, dass das nur Blocklander sein können. Das festigt die Gemeinschaft. Dieses Gefühl, wir sind Blocklander, wird dadurch noch ein wenig höher gezogen.“