Borgfeld: Von wegen verschlafen!

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Borgfeld lebt von seinem Dorfimage und wird deswegen immer mehr zur Stadt.Mittlerweile ist der Stadtteil einer der kinderreichsten Bremens. (Foto: Sabine von der Decken)

Eine junge Frau sitzt auf einem Hocker und melkt eine Kuh. Der Schweiß steht ihr auf der Stirn, die Kuh wedelt mit dem Schwanz hin und her. Daneben kniet ein Junge, der die Milchkanne tragen muss. Eine Bronzefigur in der Borgfelder Heerstraße erinnert an längst vergangene Zeiten. Damals lebten überwiegend Bauern in Borgfeld, die mit schwerem Gerät die Äcker bestellten und Schweine züchteten.

Heute lässt sich die Entwicklung in dem Stadtteil auf eine einfache Formel bringen: Die Bauern gehen, die Städter kommen. „Borgfeld hat einen Boom erlebt. Die Einwohnerzahl hat sich auf rund 9000 Menschen verdoppelt“, sagt Ortsamtleiter Gernot Neumann-Mahlkau. „Die landwirtschaftlichen Betriebe verschwinden aus dem Stadtbild. Die Mittelschicht baut hier ihre Häuser, und es zieht vor allem junge Familien hier her. Borgfeld gehört mittlerweile nicht nur zu den kinderreichsten Stadtteilen Bremens, sondern auch zu den teuersten Wohngebieten.“ Unzählige Hektar Ackerfläche wurden mit Einfamilienhäusern bebaut. So mancher Bauer machte ein lukratives Geschäft mit dem Verkauf seiner Flächen. Borgfeld verlor mit der Neubesiedlung sein Image als verschlafenes und abgelegenes Dorf.
 

Der Platz schwindet

Mit dem Zuzug vieler Menschen entstanden neue Probleme: Einige alteingesessene Borgfelder fürchten mittlerweile, dass aus ihrem vertrauten Dorf eine Stadt werden könnte. „Wir müssen verhindern, dass Borgfeld weiter bebaut wird“, sagt Heiko Wagener vom örtlichen Bürgerverein. Die Bauflächen sind für Städter gerade deswegen begehrt, weil viele von ihnen meinen, in Borgfeld sei die Welt noch in Ordnung. Die angrenzenden Naturschutzgebiete sind für Städter als Erholungsgebiet attraktiv.

„Eltern wünschen sich für ihre Kinder, dass sie behütet und naturverbunden aufwachsen. Deswegen zieht es viele Familien hier her“, sagt Ortsamtleiter Neumann-Mahlkau. Ein Zuviel an Natur muss es dann aber selbst für die Neuhinzugezogenen nicht sein. „Manche Städter beklagen, dass die Luft nach Kuhstall riecht oder dass auf den Straßen Erde liegt, die von den Traktoren fällt. Man kann nicht einerseits einen ländlichen Charakter haben wollen und sich dann aber darüber beschweren“, sagt Wagener.

Wo viele Menschen einkehren, schwindet der Platz. Das wird besonders bei Versammlungen deutlich, auf denen über aktuelle Themen berichtet wird, die den Stadtteil bewegen. „Wir brauchen dringend ein Gemeinschaftshaus, in das alle Borgfelder passen. Unsere bisherigen Räumlichkeiten reichen nicht, wir müssen ständig improvisieren“, sagt Neumann-Mahlkau. Diese Forderung unterstützen viele ansässige Vereine und Gruppen. „In unserem Bürgerarchiv befinden sich über 4000 Dokumente. Wir besitzen Tonscherben, die historisch wertvoll sind und eigentlich im Bremer Staatsarchiv lagern müssten. In unserem kleinen Archiv haben wir keinen Platz für Vitrinen, in denen wir sie ausstellen können. Deswegen liegen die Tonscherben in einer Plastiktüte im Schrank. Das ist eigentlich eine Sünde“, sagt Wagener.

Auch Monika Hüls vom Kulturforum sieht das ähnlich. „In unserer Gruppe treffen sich Künstler aus Borgfeld und der Region. In unseren Ausstellungen präsentieren wir Bilder, Fotografien und Bildhauerei. Diese Werke würden in einem großen Raum besser zur Geltung kommen.“ Der Bau eines Gemeinschaftshauses scheitert bisher vor allem daran, dass es keine finanzierbaren Grundstücke gibt. „Die Flächen sind begehrt, deswegen liegen die Preise weit oben“, sagt Neumann-Mahlkau.

Kampf um Kita-Plätze im Stadtteil

Nicht nur bei dem Bau eines Gemeinschaftshauses wünschen sich die Ansässigen mehr Unterstützung von der Stadt. „Es ärgert viele Borgfelder, dass Gelder der Stadt Bremen eher in andere Stadtteile fließen, etwa nach Walle oder Gröpelingen. Für viele politisch Verantwortliche scheint es so auszusehen, als seien finanzielle Hilfen für Borgfeld nicht so dringend nötig“, sagt Neumann-Mahlkau. Dabei seien vor allem junge Familien auf Unterstützung angewiesen. „In vielen Haushalten gibt es Doppelverdiener. Deswegen besteht ein hoher Bedarf an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Die Grundschüler sind gut versorgt, bei den Plätzen für Kindergärten müssen Eltern allerdings jedes Jahr aufs Neue kämpfen. Es fehlen rund 80 Plätze.“ Viele Eltern müssten deswegen Tagesmütter einstellen oder auf andere Stadtteile ausweichen, die auf dem Weg zum Arbeitsplatz liegen.

Neben ausreichenden Kindertagesplätzen fehlt den Bewohnern noch etwas anderes: „In Borgfeld gibt es zu wenig Gastronomie“, sagt Neumann-Mahlkau. An der Befürchtung, in einer ländlichen Gegend könne man keinen Umsatz machen, kann es jedenfalls nicht liegen. „Wir haben über 100 Gewerbetreibende hier. Sie machen sehr gute Geschäfte.“ Davon ist auch Brigitte Kuhnke überzeugt, die einen Modeladen im Stadtteil betreibt. „Die Borgfelder haben Geld und wollen schöne Dinge. Ich habe genügend Kundschaft.“ Dasselbe Geschäft in der Innenstadt Bremens zu betreiben, könne sie sich nicht vorstellen. Die Stadt ist für mich als Ladenbesitzerin nicht attraktiv. Dort sind die Mieten deutlich höher als hier auf dem Land. Deswegen gibt es in der Innenstadt auch nur die großen Modeketten.“

Ihr Geschäft führt Kuhnke mittlerweile seit acht Jahren. An Borgfeld schätzt sie den persönlichen Umgang, man kenne sich untereinander. „Manche Kunden kommen einfach nur zum Quatschen her. Mein Laden ist zu einem Treffpunkt für viele Bewohner geworden.“ Der persönliche Umgang der Borgfelder, das gegenseitige Duzen unter Bekannten und das freundliche Grüßen auf dem Weg zum Schlachter spreche für die hohe Lebensqualität des Stadtteils. „Hier ist es wie in Klein-Bullerbüh. Die Kinder wachsen behütet auf. Ich gehe gerne mit meinem Hund auf den Wümmewiesen spazieren. Trotzdem haben wir hier auch Ärzte und Geschäfte. Es ist eigentlich alles da, was man im Alltag braucht.“ Was dem Stadtteil hingegen sehr wohl fehle, sei eine unternehmerische Vernetzung, damit sich der Stadtteil nach außen erfolgreicher vermarkten könne, meint Kuhnke.

Intensives Vereinsleben

Vernetzung spielt selbst in einem ländlich geprägten Stadtteil wie Borgfeld eine wichtige Rolle. „Es gibt hier Bewohner, die sind in drei oder vier Borgfelder Vereinen Mitglied. Das Vereinsleben ist sehr intensiv“, berichtet Ortsamtleiter Neumann-Mahlkau. Erste Versuche nicht nur die Bewohner Borgfelds sondern auch jene aus der Umgebung untereinander bekannt zu machen, gibt es bereits. Das Kulturforum ist eine Plattform für Künstler aus dem Stadtteil. „In Borgfeld, Horn und Lilienthal leben viele Künstler. Ohne unser Kulturforum würden sie wahrscheinlich alleine zu Hause rumwerkeln“, sagt Petra Brau, die Mitglied im Kulturforum ist. „Wir wollen Menschen aus den östlichen und westlichen Teilen Borgfelds miteinander verbinden und für Kultur begeistern“, erklärt Monika Hüls, die ebenfalls im Forum aktiv ist.

Ein Thema, das viele Borgfelder umtreibt, ist der Verkehr. Es gab hitzige Debatten um die Streckenverlängerung der Linie 4, die die örtliche Parkplatzsituation entspannen sollte. „Es hat sich allerdings nicht viel getan und wir glauben auch nicht, dass sich da noch was ändern wird“, sagt Neumann-Mahlkau. Das hohe Verkehrsaufkommen ist ein Dauerbrenner. „Schon vor 80 Jahren wurde eine Umgehungsstraße geplant. Es ist nichts passiert. Die Straßen sind übervoll mit Autos“, sagt Wagener vom Bürgerverein. Der 77-Jährige bedauert es, dass Borgfeld seinen ländlichen Charakter verloren hat. Im Bürgerarchiv sammelt Wagener Fotos von früher, als Pferde Kutschen auf den Straßen Borgfelds zogen und Bauernhäuser die Wege säumten. Die Geschichte des Stadtteils will er vor allem für Kinder lebendig halten. „Wir müssen wissen, warum unser Stadtteil zu dem geworden ist, was er heute ist. Ein Ortsteil ohne Vergangenheit ist ein Ortsteil ohne Zukunft.“ (Autorin: Silvia Pucyk)