Findorff: Hier bleiben kaum Wünsche offen

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Auf diesem Bild stehen die Bäume in der Kastanienstraße noch - sie sollten in der zweiten Kalenderwoche allerdings gefällt werden. (Foto: Jonas Völpel)

Findorff ist DER Familienstadtteil Bremens. Wer es „gutbürgerlich“ im besten Sinne mag, ist hier perfekt aufgehoben. Natürlich gibt es aber auch in Findorff das eine oder andere Problem.

„Uns geht’s gut im Stadtteil. Viele Findorffer sind gut situiert, und ich glaube, dass Arbeitslosigkeit hier auch eine eher untergeordnete Rolle spielt.“ So beschreibt Birgit Busch, erste Vorsitzende des Bürgervereins Findorff e.V. von 1902, ihren Stadtteil und ergänzt: „Wir sind zu Fuß in fünf Minuten in der Innenstadt oder im Bürgerpark – besser geht’s nun wirklich nicht!“

Mitte der Neunziger war es allerdings erstmals mit der Ruhe und Beschaulichkeit vorbei, denn da sollte das Wohngebiet um den Weidedamm III entstehen und Aktivisten gaben das Gebiet nicht frei. Als 2010 ein psychisch kranker Mann zwei Frauen auf offener Straße ersticht, guckte auch wieder ganz Bremen auf Findorff – obwohl das Ereignis natürlich nicht ursächlich mit dem Stadtteil zu tun hat. Ein Turnhallenbrand, der im Oktober 2015 vorsätzlich gelegt wurde, ließ den Stadtteil erneut erstarren. „Das alles hat uns ganz schön mitgenommen“, sagt Busch, die seit 1987 in Findorff lebt.

Was ´Birgit Busch in Findorff vermisst? „Ein Bürgerhaus. Das ist so mein Lebensziel. Ein Haus für alle Vereine, die in Findorff sind. Wenn wir das unter ein Dach kriegen könnten, das wäre ein Traum!“

Für viele Menschen, Initiativen und Vereine findet Birgit Busch lobende Worte. So auch für die Initiative „Leben in Findorff“ (LiF). „Das ist eine kleine Organisation, die das Stadtteilportal „Findorffaktuell“ betreibt.“ Auf diesem Portal finden sich neben Tipps und Terminen vor allem Hintergründe und Berichte zu lokalen Themen mit Schwerpunkt Bau und Stadtentwicklung, Verkehr, Klima und Energie sowie Stadtteilpolitik. Betreut wird „Findorffaktuell“ vor allem von Beiratsmitglied Ulf Jacob und dem Findorffer Mathias Rätsch.

Wem das nicht reicht, kann seine Nase in das Printmagazin „Findorffer“ stecken, das ein Mal im Monat in 16 000 Briefkästen liegt, wobei sich Birgit Busch derzeit um die Auflage des Bürgerverein-Blattes sorgt. Der Drucker kündigte kürzlich den Vertrag und gibt nun selbst ein Heft heraus. „Jetzt geht der Kampf um Anzeigen los“, fürchtet sie. Darüber hinaus gibt es wohl schon länger Diskussionen, ob eine Zeitung noch zeitgemäß sei. Die ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete, die mit etwa 600 weiteren Mitgliedern im Bürgerverein aktiv ist, geht aber davon aus, dass viele Findorffer nach wie vor gerne Papier in der Hand halten.

Die Findorffer zeigen viel Engagement, wie Birgit Busch hervorhebt. Das spiegelt sich im Umgang mit den Geflüchteten wider, das sieht man aber auch am Straßenrand, den die Findorffer oft in Eigenregie bepflanzen. „Guerilla-Gardening“ heißt das neudeutsch, und die Findorffer sind dabei enorm kreativ: Es werden nicht nur Blumenkübel bepflanzt, sondern auch Eimer, Dosen oder gar ausrangierte Waschbecken.

Ihr Grün ist den Findorffern sehr wichtig, um nicht zu sagen heilig. Das wird auch bei einem aktuellen Konflikt deutlich, wo es um den Erhalt von 99 Bäumen in der Kastanienstraße geht. Die stehen nach Ansicht der Deutschen Bahn zu nah an den Gleisen, beziehungsweise es wird befürchtet, dass die Baumkronen die Oberleitungen zuwuchern. Also sollen die Kastanien, Eichen, Mehlbeerbäume und weitere Baumarten weg – und damit entfiele der „grüne Vorhang“ vor der Lärmschutzwand.

Eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG sagt: „Die Bäume in der Kastanienstraße, sowohl auf Bahn- als auch auf Stadtgrund, drohen die in den Richtlinien festgelegten Mindestabstände von fünf Metern zu Ober- und Speiseleitung zu unterschreiten.“ Nach einem Gutachten der Deutschen Bahn kommt ein Rückschnitt nicht infrage. „Um die Mindestabstände durch eine Einkürzung zu erlangen, würde den Bäumen in allen Fällen mehr als 50 Prozent ihrer gesamten Kronenmasse genommen werden, was ein Absterben zur Folge hätte“, so die Sprecherin. Die Bäume müssen weichen. Auch eine Einzelprüfung änderte daran nichts.

Andreas Block-Daniel versteht etwas von Bäumen. „Der Baumflüsterer“ ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, der diesen Beruf in erster Linie wählte, „um Bäume zu erhalten.“ Block-Daniel hat es häufig mit kritischen Fällen wie mit den Bäumen in der Kastanienstraße zu tun. Doch auch er kam nach genauer Betrachtung der Situation zu einem ähnlichem Ergebnis wie die Deutsche Bahn: „Von 99 Bäumen könnten leider nur etwa zehn oder 15 erhalten werden.“

Was ihn an der Sache besonders ärgert, formuliert er so „Mehrere Jahre hat sich die Bahn nicht so sehr um die Einhaltung ihrer Vorschriften gekümmert. Dabei ist die Sache ganz einfach: Je größer die Bäume werden, desto dringender wird das Problem, weil die Sicherheitsabstände immer weiter unterschritten werden.“ Die Deutsche Bahn AG habe die Situation „großzügig laufen lassen“ moniert der erfahrene Sachverständige. 

Ein Versäumnis, rechtzeitig mit dem Rückschnitt zu beginnen, sieht auch Grete Botsch: „15 Jahre wurde nicht geschnitten. Aber was soll man jetzt machen? Da muss man sich entgegenkommen – die Bahn und die Anwohner müssen Kompromisse finden.“

Grete Botsch wohnt in der Kastanienstraße – noch mit „grünem Vorhang“. Heute macht sich in dem Straßenzug kaum noch jemand Hoffnung auf den Erhalt des Baumbestandes. „Die werden wegkommen“, so Botsch. Die Frage sei jetzt nur noch, was übrig bliebe. „Wir haben vor unserem Haus viele Bäume und Sträucher gepflanzt und viel Geld und Arbeit investiert. Insofern ist es dann schon ärgerlich, wenn das alles wegkommt.“ Botsch sieht aber auch das Positive: „Es werden ja auch Bäume ersetzt, und das ist gut.“

Die DB-Vertreterin räumt ein: „Der Deutschen Bahn ist bewusst, dass diese unumgängliche Maßnahme einen großen Eingriff in das Wohnumfeld darstellt.“

Dürfte Grete Botsch sich wünschen, was demnächst entlang des Bahndamms wächst, wäre sie für Sträucher, „die immer grün sind, so dass man auch im Winter Grün hat.“ Für die zweite Januarwoche 2017 hat das Unternehmen die Rodungsarbeiten angesetzt. Auch Ersatzpflanzung sind bereits in Planung. (Autorin: Annika Mumme)