Gröpelingen: Ein Stadtteil voller Potenzial

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Ein Blick von oben: Dort, wo jetzt die Waterfront steht und Tag für Tag unzählige Menschen in den Stadtteil lockt, befand sich einst die AG Weser. (Foto: Karsten Klama)

Gleich mehrfach bricht der Stadtteil im Bremer Westen Rekorde – nur freut sich kaum einer über diese Höchstleistungen. Hier gibt es die meisten Kinder, die in Armut aufwachsen, die höchste Schulabbrecherquote und mit 27 Prozent den Spitzenwert an Arbeitslosen in der Stadt. Es gibt aber auch viel Hoffnung.

Oft wird über all die Herausforderungen, vor denen der Stadtteil steht, vergessen, was Gröpelingen bietet. Ein Beispiel ist seine Sprachenvielfalt. Diese basiert nicht zuletzt auf einer weiteren Rekordzahl, die in Gröpelingen erreicht wird: Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei rund 40 Prozent.

Dieses Faktum werde nicht selten im Zusammenhang mit den Schulabbrechern, der Arbeitslosigkeit und generell einer soziokulturellen Benachteiligung dargestellt und dadurch als Problem wahrgenommen, kritisiert Christiane Gartner. Die Geschäftsführerin vom Verein „Kultur vor Ort“ setzt sich auch dafür ein, dass die Vielzahl an Menschen mit Migrationshintergrund und die verschiedenen Sprachen und Kulturen als Stärken des Stadtteils gesehen und ihre Qualitäten als Ressource genutzt werden. „Ich kann in dem Punkt Migrationshintergrund oder Eingewanderte oder Geflüchtete nichts Negatives sehen“, so Gartner. Gewiss, das Problem mit Erwerbslosigkeit bestehe, ebenso ein wirtschaftliches. Eine breite Diversität – wie Gartner sagt, „Super-Diversity“ – liefere dem Stadtteil jedoch neue Perspektiven, sie sei gar „das Potenzial der Stadt und des Stadtteils.“ Ziel des Vereins ist es, Zugänge zu Bildungssystemen zu schaffen.

Unterstützung für Unterstützer

Christina Vogelsang, Projektleiterin von „Made in Gröpelingen“ und „Gründen vor Ort“, greift den Machern im Stadtteil unter die Arme, sei es bei Fragen zur Selbstständigkeit, beim Gestalten oder auch im Bereich Marketing – hier wird eine Plattform geboten, um ein „Andocken“ einfacher zu machen, so Vogelsang. Gemeinsam mit „Kultur vor Ort“, dem Torhaus Nord, dem Atelierhaus „Roter Hahn“, dem Lichthaus, der Stadtbibliothek und vielen weiteren Aktiven werden neue Räume geschaffen, in denen Menschen ihre individuellen Fähigkeiten einbringen können. Gartner dazu: „Wir inszenieren dort dauerhaft Produktionsprozesse. Im Kinder-Atelier, im Quartiersbildungszentrum oder gemeinsam mit anderen Netzwerken bauen wir sozusagen Zugänge zu Bildung auf. Wir wollen ja nicht von der Defizit-Perspektive auf die Leute gucken, sondern vom Potenzial ausgehend.“

Zunehmend wird das Potenzial in Gröpelingen sichtbar. „xbyz – Gesellschaftliche Moves“ heißt die gemeinnützige Unternehmergesellschaft von Religions- und Kulturwissenschaftlerin Anne Kauhanen und dem Künstler Arton Veliu, die weitere Projekte bündelt. Die 32-jährige Kauhanen und der 36-jährige Veliu legen den Fokus auf gesellschaftliche Bewegungen. „Es ist uns sehr wichtig, Kunst und Soziokultur miteinander zu verbinden“, sagt Kauhanen. Ob in Form von der Arbeit mit jungen Geflüchteten oder auch mit Jugendlichen aus sozial benachteiligten Verhältnissen oder durch Kunst berührte „gesellschaftlich relevante Themen“ – das selbst auferlegte Ziel könne in beide Richtungen verstanden werden, so Kauhanen.

Die Themen werden zumeist in Form von Tanz, Theater und Filmkunst umgesetzt. „Wir glauben daran, dass Kunst und Kultur für jeden zugänglich sein sollte.“ Die 32-Jährige Projektleiterin, die aus Finnland stammt, spricht vorsichtig von einer „Peripherie“, – einem Randgebiet – „auch wenn ich das Wort nicht mag“. Gröpelingen habe durch manch bildungsfernere Zielgruppe großen Bedarf. Deswegen bietet das Duo eine Basis, wo Menschen sich ausprobieren können.

Selbst zu gründen, um anderen neue Chancen zu ermöglichen – kein ganz leichter Weg. „Selbstständig zu sein heißt selbst und ständig.“ Anne Kauhanen berichtet von einem stetigen Prozess. „Aber wenn man an das Eigene glaubt, dann klappt das schon.“ Geschäftspartner und Art Director Arton Veliu kam bereits zwölf Jahre früher als Kauhanen nach Deutschland. Er floh 1992 aus dem Kosovo und entdeckte in Gröpelingen Tanz und Bewegung als einen Weg der Verständigung – eine Sprache ohne große Worte mit der viele Menschen erreicht werden können.

Der Reichtum des Stadtteils

Die Stadtteil-Struktur hat sich verstärkt in den letzten Jahren aufgebaut. „Kultur vor Ort“ arbeitet im engen Verbund mit dem Quartiersbildungszentrum Morgenland (QBZ), das im April 2015 eingeweiht wurde und nicht nur Bildungsberatung sowie den Sitz des Quartiersmanagement vereint. Zugleich bringt die Einrichtung, die neben der Ganztagsgrundschule an der Fischerhuder Straße liegt, eine Reihe neuer Projekte und einen großen Mehrzweckraum mit. Im Schulterschluss mit dem Quartiersbildungszentrum packen die Bildungseinrichtungen Probleme im Stadtteil an. „Unserer Erfahrung nach erreicht man die Leute darüber ganz intensiv, dass wir zusammenarbeiten und uns die Themen gemeinsam angucken“, sagt Gartner. Zudem berichtet die Geschäftsführerin von besonderen Werten, die in Gröpelingen zählen. „Ich denke, dass der Reichtum, den dieser Stadtteil hat, ein enger sozialer, persönlicher, nachbarschaftlicher Zusammenhalt ist. Um Vorzüge weiter auszubauen, braucht es nach Gartner Ressourcen wie guten Wohnraum und Grünflächen für Freizeitgestaltung.

Einst ein reiner Arbeiterstadtteil, geprägt von Industrie und Hafenwirtschaft und von bescheidenem Wohlstand, änderte sich mit der Schließung der Werft AG Weser in den 1980er-Jahren vieles. Einen Wandel vom Arbeiterviertel zum „Arbeitslosenviertel“ beschreibt der Soziologe Günter Tempel für diese Zeit vielerorts in Bremen, stets in Verbindung mit Schließungen der Industrie. In der Gesundheitsberichterstattung „Die Auswirkungen sozialer Polarisierung“ für das Gesundheitsamt Bremen aus dem Jahr 2006 zitiert Tempel stellenweise den verstorbenen Soziologen und Stadtforscher Hartmut Häußermann: „Viele, darunter häufig ausländische Zuwanderer, wurden arbeitslos“, womit sich auch die Viertel veränderten. Heute verweist Tempel auf die Arbeit, die sich maßgeblich mit der „Entwicklung der Lebenserwartung und Sterblichkeit in ausgewählten Bremer Wohngebieten“ beschäftigt. Die Aussagen lassen sich auf einige Gröpelinger Quartiere beziehen. Vermutlich hätten sich die Gegebenheiten, die für die Studie vorlagen, in den vergangenen zehn Jahren nicht gravierend geändert, so der Leiter für Kommunale Gesundheitsberichterstattung des Gesundheitsamtes.

Durch den Wegfall der Industrie verließen Menschen die Wohn- und Arbeitsviertel. Wer sich die teureren Quartiere nicht leisten konnte, der blieb. Segregation – eine Ballung, teilweise gar eine Trennung nach sozialen Aspekten – hielt Einzug in die Gesellschaft und in die Viertel. Wobei zwischen freiwilliger und nicht freiwilliger Segregation zu unterscheiden ist. „So sind die privilegierten Wohnviertel einer Stadt das Ergebnis einer freiwilligen Segregation der gehobenen Mittel- und Oberschicht.“ In der Berichterstattung liest sich weiter, dass bei der „Funktionelle(n) Segregation“ die Migranten „nach und nach Anschluss an die Aufnahmegesellschaft.“ fänden. Mit der „Strukturelle(n) Segregation“ wird hingegen eine feste Situation beschrieben, aus der es schwer wird auszubrechen, „wo die Lebenswelt der Zuwanderer auf das Wohnviertel beschränkt bleibt ohne nennenswerte Chancen auf Integration“.

Die Ortsamtsleiterin unterscheidet zwischen einem „Problemstadtteil“, als welcher Gröpelingen oftmals bezeichnet werde, und einem „Stadtteil mit Problemen“. An diesen Problemen müsse gearbeitet werden: „Das heißt, wir müssen gute Schulen, wir müssen ausreichend Kitas schaffen.“

Den Aufbruch vor Augen

Das Gesicht des Stadtteils hat sich verändert. In der Lindenhofstraße und der Gröpelinger Heerstraße reihen sich Spielhallen und Friseur-Geschäfte aneinander. Dazwischen bieten Obst- und Gemüsehändler ihre Waren an, die Schnellrestaurants und die türkischsprachigen Ärzte und Apotheken. Bereits saniert wurde die Lindenhofstraße, es folgt das ehemalige C.A.Klein-Gebäude mit dem geplanten Ohlenhof-Carée. Ortsamtsleiterin Ulrike Pala sagt: „Ich habe kürzlich gesagt, Walle ist für mich ein Tiger-Stadtteil im Aufbruch. Und es mag vielleicht ein bisschen dauern, vielleicht fünf bis zehn Jahre, aber ich würde sagen, – da ist auch Hoffnung dabei – dass das dann weitergeht nach Gröpelingen.“ Dafür muss ein Thema besonders angegangen werden. „Wir setzen uns ja nicht hin und gucken uns an, wie man Integration macht. Wir leben sie.“

Im Schnellimbiss fügt der Mitarbeiter mittlerweile alle Komponenten zusammen: Salat, Kohl und Zaziki werden samt gedrehtem Lamm in das Pita-Brot gefüllt und obenauf wird das Türmchen durch eine süß duftende Spezial-Soße gekrönt. „Guten Appetit“, bekommt der Abholer zu hören, bevor er mit seinem Döner den Laden verlässt.

Anne Kauhanen sagt: „Diversität ist das Schöne am Stadtteil. Nicht nur auf das Kulturelle bezogen, sondern auf alles Mögliche. Da steckt unheimlich viel Potenzial drin, aber gleichzeitig bringt Diversität auch Konfliktpotenzial mit sich. Das ist das Schöne und gleichzeitig das Schwierige.“ (Autorin: Annika Mumme)