Hemelingen: Die Werkbank Bremens

Hemelingen.jpg

Das Bürgerhaus Hemelingen diente bereits als Wohnhaus wie auch als Polizeirevier. (Foto: Jonas Völpel)

Vom Bremer Roland aus sind es rund sieben Kilometer bis zum Bürgerhaus Hemelingen. Die Landhaus-Villa, die in der Godehardstraße 4 liegt, diente einst dem Silberwarenhersteller Heinrich Wilkens und seiner Familie als Wohnhaus. Das Backstein-Gemäuer könnte bei einer Lebensdauer von knapp 141 Jahren viele Hemelinger Geschichten ausplaudern, die es selbst miterlebt oder über die Jahre belauscht hat.

Sie handeln von Familien-Betrieben, Kräutergärten und vielem mehr. Manchmal werden sie gar in dem Haus selbst geboren, das 1875 bis 1876 von Heinrich Wilkens errichtet wurde. Die Geschichten stammen aus einem Stadtteil, der sich heute in die Gewichtsklasse der Neustadt, Schwachhausens und der Östlichen Vorstadt einsortieren lässt. Nur dass Hemelingen weitaus mehr Fläche besitzt als erwähnte Stadtteile: 2977 Hektar Land mit 42 910 Hemelingern umfasst der östliche Stadtteil, der aus den Ortsteilen Hastedt, Hemelingen, Sebaldsbrück, Arbergen und Mahndorf besteht.

Eine der Geschichten liefern große Firmen, die in dem industriell und gewerblich geprägten Stadtteil ansässig sind. Sie stellen hier ihre Waren her und liefern weltweit. In Sebaldsbrück liegt Bremens größter privater Arbeitgeber, das Mercedes-Werk, das 12 500 Mitarbeiter beschäftigt. Rheinmetall Defence Electronics und das Atlas-Elektronik-Werk haben ebenfalls ihren Standort in Hemelingen.

„Wir sind mit dem Stadtteil verwachsen, wir gehören hierher“

Aber auch die kleineren, traditionsbewussten Betriebe sind es, die Hemelingen ausmachen. Peggy Zaun arbeitet in einem solchen Betrieb, der aus fünf Mitarbeitern besteht. Seekamp Metall wird mit ihr und ihrem Bruder Jan Seekamp bereits in der dritten Generation geführt. „Wir sind mit dem Stadtteil verwachsen, wir gehören hierher“. Es habe sich einiges verändert, seit Zaun 2002 aus Hemelingen wegzog. Nicht immer zum Guten. „Aber ich habe das Gefühl, es geht bergauf.“ Positiv aufgefallen sind ihr beispielsweise die sanierten Häuser, die nach und nach von den Eigentümern in Schuss gebracht werden. Die Gemeinschaft habe jedoch über die Jahre gelitten: „Damals war es hier wie ein Dorf. Man kennt sich hier aber heute nicht mehr so wie früher.“ Zauns Großvater, Johann Seekamp, baute den Metall-Betrieb in der Hemelinger Bahnhofstraße 38 im Jahr 1947 auf; Vater Jürgen Seekamp übernahm und nun wird er mit seinen Kindern weitergeführt. Etwas hat sich noch verändert: Zaun erinnert sich an die Zeit vor dem Tunnel. Sicher sei das eine Verkehrsbelastung gewesen. Doch auch wenn die Hemelinger Bahnhofstraße nun verkehrsberuhigter ist, „unser Grundstück wurde verkleinert“, sagt Zaun.

Die Unterführung ab der Sebaldsbrücker Heerstraße beruhigt heute um den Bereich Brüggeweg die Lage. Das Thema Eisenbahn ist ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. Die Anbindungen an Züge und Bahnen in Sebaldsbrück und Mahndorf sind etwas, das viele Hemelinger als Vorteil sehen, obgleich die Schienen diesen Bonus durch ihre zerteilende Wirkung abschwächen. „Wobei diese Zerteilungen aufgrund dessen, dass sie nach und nach entstanden sind und teilweise auch schon vorher vorhanden waren, eigentlich schon verinnerlicht sind“, sagt der Beiratssprecher Hemelingens Uwe Jahn. Nichtsdestotrotz ergeben sich hier Nachteile, „vor allem Lärmemissionen, aber das sind Sachen, die gehören zu diesem Stadtteil dazu“, sagt Jahn. 

Hemelingen leidet unter schwindenden Grünflächen

Gegenüber der alten Landhaus-Villa, dem Bürgerhaus, liegt die Schlosserei. Von hier aus ist die Sicht auf einen kleinen Park frei, der die zwei Villen des ehemaligen Silberwarenherstellers Wilkens & Söhne verbindet. Das Bürgerhaus, vielmehr der Träger, der Verein Bürgerhaus Hemelingen, richtet hier Veranstaltungen aus, bietet aber auch Kurse an. Bürgerhaus-Geschäftsführerin Eva-Maria Ehlers schildert die Anfänge eines Treffpunktes im Stadtteil: „1984, eigentlich ja schon 1983, sind wir gegründet worden.“ Im September 1983 übernahm der Verein die Villa und begann schließlich mit den Sanierungsarbeiten am Haus. Ende Mai 1984 wurden die Türen des Landhauses wieder geöffnet – als Bürgerhauses Hemelingen. „Die damaligen Mitglieder mussten kräftig mit Hand anlegen, dass das überhaupt irgendwie etwas wird, weil das ja ein Wohnhaus war.“

Beiratssprecher Uwe Jahn findet sich häufig im Bürgerhaus Hemelingen ein, auch an diesem Tag. Er erzählt, was den Stadtteil ausmacht: „Seine ganz unterschiedliche Struktur. Vom verlängerten Viertel mit einer schon stattfindenden Gentrifizierung in Hastedt teilweise über ganz alte Arbeiterviertel im Ortsteil Hemelingen über Wohnen im 60er-Jahre-Bereich wie Sebaldsbrück“. Arbergen biete teilweise eher kleine aber auch große Siedlungen, „bis hin zum teilweise noch Bäuerlichen in Mahndorf.“ Als „heterogenen“ Stadtteil bezeichnet der Beiratssprecher Hemelingen, „und es ist gleichzeitig die Werkbank Bremens. Eben der industrielle Komplex, der groß und der für die Wirtschaftsleitung Bremens eminent wichtig ist.“ Der 56-Jährige kennt aber auch die Schwächen des Stadtteils. „Dort wo gebaut wird und wo Industrie angesiedelt wird, verschwindet auch etwas anderes.“ Damit spricht Jahn immer geringere Grünflächen an, worunter auch Hemelingen zu leiden habe. „Wir begleiten das als Beirat und sind auch in dem hoffentlich weiterhin konstruktiven Dialog mit den entsprechenden Entscheidungsträgern.“

Über die Zeit hat sich der Stadtteil stark verändert, die Wilkens-Villa hat viele Entwicklungen überlebt – manche gar hautnah miterlebt. In ihren Räumen nämlich schliefen und womöglich zürnten einst Menschen, die nie in der Villa wohnten und auch keine Besucher des Bürgerhauses waren. Es war in einer Zeit dazwischen, als die Wilkens-Villa das Polizeirevier beherbergte und somit diejenigen, die ihren „Brausebrand“ überwinden mussten, erklärt Bürgerhaus-Geschäftsführerin Eva-Maria Ehlers: „Das kriege ich heute noch von einigen älteren Herrschaften gesagt, vor allen Dingen von Herren, dass sie hier im Keller schon ausgenüchtert wurden.“ Vergangene Zeiten. Heute wird an neuen Plänen gefeilt.

„Ende Oktober haben wir einen Termin für eine Hausbegehung mit Immobilien Bremen.“ Dann wird besprochen, welche der Ideen des Vereins am Haus umgesetzt werden können, „was auch statisch machbar ist und was nicht. Und auch, wo wir vielleicht Geld herkriegen, damit uns da geholfen werden kann“, so Ehlers. Eine Faltwand soll in einem der Räume eingezogen werden, um mehr Platz zu schaffen. Auch die Cafeteria soll einem Umgestaltungskonzept unterzogen werden. Bleiben soll der Charakter des Hause: „Ohne, dass ich das jetzt übertrieben sage, es ist sicher vom Baustil her eines der schönsten Bürgerhäuser in Bremen, weil es nicht extra für diesen Zweck gebaut wurde“, sagt Ehlers.

Ein interkultureller Kräutergarten 

Auch der Platz zweieinhalb Kilometer weiter wurde nicht für seinen heutigen Zweck gebaut: als ein Ort der Begegnung und der Ruhe – inmitten einer viel befahrenen Verkehrszone in der Ludwig-Quidde-Straße. Hier sollen Kinder, die in ihren jungen Jahren aus den Heimatländern flüchten mussten, zur Ruhe kommen können, aber auch etwas lernen. Auf dem Platz am Schosterboorn erklärt Meeresökologe Manuel Jänig den Kindern aus dem Übergangswohnheim der Ludwig-Quidde-Straße, was es mit dem Projekt auf sich hat: „Ein Mitmachgarten.“ Selbst hat der 38-Jährige vier Jahre in der Nachbarschaft gewohnt. „Ich habe mir häufig gedacht, dass man auf dem Platz etwas machen muss.“ Einige Hürden mussten genommen werden, bevor das Umweltprojekt um Blumenzwiebeln, Wildbienchen und Co. richtig anlief. Mit einigen Nachbarn „beschnupperte“ sich die Gruppe erst einmal. Heute bieten Anwohner ihr Wissen zu Heilkräutern oder gar Wasser vom Hausanschluss an. Kooperationspartner fand Jänig in der Arbeiterwohlfahrt und dem Arbeiter-Samariter-Bund.

Mit Kunsttherapeutin Stefanie Düerkop und  Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren erhielt er vom Bund für Umwelt und Naturschutz Landesverband Bremen, bei dem auch Jänig tätig ist, zwei Hochbeete. Für 2017 gibt es bereits Pläne, was genau aus Flora und Fauna Platz in dem Interkulturellen Kräutergarten (IKKG) finden wird. Neben Sonnenblumen sprießen bereits Erdbeeren aus den Beeten. Ein Kartoffelsack wurde aufgestellt und die Kinder greifen mit Wonne und beiden Händen in die Erde. Hemelingen noch bunter und grüner machen, gleichzeitig ein Freizeitangebot für junge Flüchtlinge, für alle schaffen – das ist Ziel des Projektes. „Ich würde mich freuen, wenn das wirklich ein Nachbarschaftsprojekt wird“, so Jänig. (Autorin: Annika Mumme)

Wer dem kleinen Urban Gardening-Projekt beim Wachsen und Gedeihen helfen möchte, kann unter ikkg-schosterboorn@posteo.de Kontakt aufnehmen.