Huchting: Auf die Plätze, fertig, Streit!

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Die aktuelle Endstation der Linien 1 und 8 in Huchting. Dies könnte sich eventuell ändern – und sorgt für Diskussionen.

Er steht vor der alten Kirche und hält stolz eine Fotokopie der später zerstörten Stadtteil-Urkunde vom 27. Juni 1063 in der Hand. Rainer Heuer sammelt Schätze für das Huchting-Archiv und führt heute durch Straßen, über Felder und Wiesen Huchtings. An nahezu jedem Haltepunkt vermag er Geschichten zu erzählen, die von Persönlichkeiten und alten Gebäuden handeln. 

Die Huchting-Urkunde erhielt er durch Hartnäckigkeit: In Brinkum angefangen über Stade bis hin zu Bückeburg gelangte Heuer letztlich an ein Negativ-Bild von der Glasplatte, die während des Zweiten Weltkriegs zu Bruch ging. Demnach war die Aufteilung Huchtings früher folgendermaßen: „Zwei Haufendörfer – Kirchhuchting rund um die Kirche und Mittelshuchting. Und Brokhuchting besteht nach Hollerrecht aus vier Höfen.“ Später kam der Ortsteil Sodenmatt hinzu. „Und am schönsten ist es hier eigentlich in Grolland an der Ochtum und an der Varreler Bäke." 

Vermutlich kennt er den Stadtteil besser als seine Westentasche, auch, weil er den Familienbetrieb, ein Baugeschäft mit über 100-jähriger Geschichte, vom Vater übernahm. „Dadurch kann ich sagen, ich bin hier in ziemlich jedem Einfamilienhaus schon mal drin gewesen.“ Auch bei einem Umbau an der prachtvollen St. Georg Kirche, der ältesten Kirche im Stadtteil, wirkte Heuer Anfang der 1990er-Jahre mit. 

Ankommen, Flucht und Heimat

Eine, die ebenfalls Huchtinger Geschichten erzählen kann, ist Inga Neumann. Die Quartiersmanagerin nennt die Vorzüge des Stadtteils: „Ich finde, in Huchting leben ganz viele liebenswürdige Menschen und die erbringen eine wahnsinns Integrationsleistung. Huchting ist oft so negativ besetzt, das kann ich nicht nachvollziehen.“ Sie weiß aber auch um die Schwächen. Sie unterstreicht, dass Wohnungsbau in öffentlicher Hand liegen sollte: „Das sehen wir hier an der Robinsbalje, was nicht Gewoba-Gebiet ist. Das ist ein Problem.„ Zudem fehle es an Kita-Plätzen und entsprechendem Personal: „Viele haben Sorgen, dass sie keinen Kita-Platz für ihre Kinder bekommen.“ Aber auch der Abriss der Brücke an der B 75 und die Verlängerungen der Straßenbahnlinien 1 und 8 beschäftige im Stadtteil. 

Das Quartiersmanagement befindet sich auf dem Gelände des Bürger- und Sozialzentrums Huchting. Auf dem Areal, das wie ein eigenständiges kleines Quartier funktioniert, findet sich auch ein Gartenreich mit Gemüse- und Pflanzen-Beeten, Tipis aus Geäst sowie viel Grünfläche. In der Nähe eines kleinen Labyrinths stehen bunte Beton-Stühle. Daneben Koffer. 

Es gehe um Ankommen, um Flucht und Heimat, erklärt Vera Zimmermann, Kulturpädagogin und Leiterin des Kulturladens. Zimmermann und ihre Kollegen Claudius Joecke und Norbert Ellrich bieten Menschen die Möglichkeit, ihre Kulturen in Projekten aufzugreifen und darzustellen. „Zentrum sind immer die Menschen und ihre Geschichte“, sagt Zimmermann, „wie sie hier ihre Kultur, ihre Religion leben und wie sie das hier bereichern.“ Eines der Projekte, das erste in der Reihe „Insan... Mensch“, die vor zehn Jahren entwickelt wurde, ermöglichte es den Menschen, Dinge, die sie aus ihrer Heimat, ihrer Kultur mit nach Huchting brachten, in Koffern zu installieren. 

Diskussionen um die Linien 1 und 8

Und dann spricht auch Zimmermann eines der Themen an, das in Huchting für Diskussionsstoff sorgt. „Wir profitieren als Einrichtung absolut davon, dass es den direkten Roland-Center-Ringverkehr gibt." Das Großvorhaben Bremens zu den Linien 1 und 8, und im Falle der 8 auch der niedersächsischen Gemeinden Weyhe und Stuhr, könnte den Ringverkehr künftig verändern. 

Bremen plant, die Strecke der Linie 8 ab Roland-Center über die Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn (BTE) bis Stuhr und Weyhe weiterzuführen. Für die Linie 1 ab Roland-Center, wo bisher für beide Linien Endhaltestelle ist, sollen neue Haltestellen eingerichtet werden. Der Verlauf soll künftig an der Brüsseler Straße enden. 

Gegen das Bauprojekt in seiner jetzigen Planung sprechen Martin Danne und Walter Halang von der Bürgerinitiative Huchting. Halang, den das Thema nahezu 20 Jahre begleitet,  sagt: „Die Straßenbahn gehört auf die Straße, nicht in die Gärten.“ Der 62-Jährige Danne ergänzt, der Busringverkehr sei ideal für Huchting. „Wir plädieren sogar dafür, dass wir E-Busse hier einsetzen und testen könnten, weil die Strecke dafür optimal ist." 

Huchting sei ein lebendiger Stadtteil mit vielen Vereinen und Organisationen. Eine Straßenbahn solle nicht daran „vorbeigeplant“ werden, sagt Halang. Die Strecke sei mit der Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn grundlegend vorhanden und kostengünstiger als beispielsweise eine Variante auf der Kirchhuchtinger Landstraße. „Dann nimmt man auch in Kauf, dass es da hinten weniger Fahrgäste gibt“, sagt Halang. Die Rechnung gehe aus ihrer Sicht nicht auf. Schließlich lebe die BSAG von Fahrgästen. 

Für das Vorhaben ist Beiratsmitglied Dieter Blanke. „Die Verlängerung bringt viel für die Menschen im Stadtteil. Die Hälfte der Huchtinger braucht dann nicht mehr umsteigen.“ 50 Prozent der Fahrten, die in Huchting im öffentlichen Personennahverkehr stattfinden, beträfen die Linienführung, wie sie jetzt geplant ist. „Das wird sich damit stark verbessern." Ein kürzlich gefälltes Urteil bezieht sich auf den laut Gericht auf falscher Grundlage basierenden Planfeststellungsbeschluss zur Linie 8, dem in Niedersachsen das Eisenbahnrecht zugrunde gelegt wurde und nicht das Personenbeförderungsgesetz. Zudem habe keine entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung stattgefunden. Aktuell gibt es seitens des Bremer Senats Überlegungen, die Vorhaben zu den Linien zu trennen, um die Pläne zur 1 umsetzen zu können. 

 „Wo die neuen Fahrgäste herkommen sollen, wissen wir nicht.“

Ziel des gesamten Vorhabens ist es, direkte Anbindungen in die Innenstadt zu schaffen. Beiratsmitglied Blanke: „Man steht nicht mehr im Stau.“ Er spricht von einer Klientel, die morgens Richtung Innenstadt zur Arbeit fährt. Er rechne damit, dass Autofahrer in den Einzugsgebieten dann auf die Straßenbahn umstiegen. Für Argumente gegen die Streckenverlängerung seien mitunter „Teilstücke herausgepickt worden, wo kaum einer fährt. Die Straßenbahn hat Zählungen gemacht. Die wissen genau, wie viele Fahrgäste an den Haltestellen einsteigen.“

Die Mitglieder der Bürgerinitiative sagen dagegen: „Die, die auf den Bus warten, warten auch auf die Straßenbahn. Wo die neuen Fahrgäste herkommen sollen, wissen wir nicht.“ Das macht Halang unter anderem daran fest, dass viele Huchtinger kein Fahrzeug besäßen, von welchem sie auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen könnten. „Wir können jetzt nur abwarten und hoffen“, sagt Danne. Denn aufgrund der Nichtzulassung der Revision durch das Oberverwaltungsgericht legt unter anderem die Bremen-Thedinghauser Eisenbahn Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht ein. 

Derweil geleitet Rainer Heuer weiter durch Huchting und vergleicht das Früher mit Heute: „Landwirtschaft haben wir nicht mehr. Und hier geht’s zur Wasserlöse, ein Schleichweg. Früher nannte man den „Verlobungsweg“. Wer dort rumpoussierte, war so gut wie verlobt.“ Einige Straßen weiter zeigt er auf Firmengelände. „Die machen Lenkwellen für BMW. Das heißt jeder BMW dieser Welt hat eine Lenkwelle aus Bremen-Huchting.“ (Autorin: Annika Mumme)