Oberneuland: Alles fast zu schön

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Die 1848 gebaute Windmühle ist das Wahrzeichen Oberneulands. Seit den 1970er Jahren gehört sie zum Focke-Museum. (Foto: Stevie Schulze)

Mehr als 1800 Hektar, rund 13 000 Einwohner, Stadtbezirk Ost. Das sind die Fakten. Sie beschreiben sachlich einen der flächenmäßig größten Stadtteile Bremens, der, wird von Zahlen und Daten über den Tellerrand hinausgeschaut, insbesondere durch reichlich Grün besticht. Das mache den Stadtteil aus, sagen die Menschen, die einem in den alleenartigen Straßen und den vielen Parks begegnen. 

Teilweise zu Halbmonden gestutzt, mit innen liegendem Rondell, steht in einem dieser Parks ein hochgewachsenes Pflanzen-Ensemble. Gemeint ist das Heckentheater im Heinekens Park von 1770. Karl-Heinz Müller kennt die Schönheiten des Stadtteils, die Hecken zählt er dazu. Aufwändig, so der Vorsitzender des „Förderkreises Overnigelant", sei nicht nur die Instandhaltung des Buschwerks und des Heinekens Parks, sondern die aller acht Parkflächen, um deren Sanierungen der Förderkreis bemüht ist. 

Tamina Kreyenhop wünscht sich neue Mitglieder für den Förderkreis. Aber die Beiratssprecherin hat auch die Forderung nach dem Ganztagsschulangebot für den Stadtteil ganz oben auf ihrer Liste. „Ich war in der Deputationssitzung und konnte es gar nicht glauben.“ Sie zeigt sich fassungslos darüber, was kurz zuvor durch eine Pressemitteilung bekannt wurde: Oberneulands Grundschule wird nun nicht bis 2021/2022 auf Ganztag umgestellt und die geplante Vierzügigkeit sowie der Neubau lassen ebenfalls auf sich warten. „Da wird der gute Oberneulander Sozialindex zum Standortnachteil."

In Bremen ist die Quote der armutsgefährdeten Kinder im Ländervergleich mit am höchsten. „Ein Drittel der Kinder ist armutsgefährdet“, sagt der Fraktionspressesprecher der Grünen, Matthias Makosch. Dies sei ein Grund gewesen, weshalb die Kriterien für die Erweiterungen der Schulen vor allem nach „Sozialindikatoren“ erfolge, so Makosch. 

Weiteres Kriterium der Deputation war die Konzeptvorstellung der jeweiligen Schule, denn langfristig sollen alle 74 Bremer Grundschulen auf ein zumindest offenes Ganztagsangebot – möglichst auf den gebundenen Ganztag – mit einer Mischung aus Schul- und Freizeitangebot am Vor- und Nachmittag inklusive Mittagstisch erweitert werden. Generell werde das von den Schulen und Elternbeiräten begrüßt, so Makosch. Einigen ginge es jedoch noch zu schnell, während andere darauf warten. 

So auch in Oberneuland. Tamina Kreyenhop kritisiert, dass berufstätige Mütter mitunter ihre Arbeit lediglich stark eingeschränkt ausüben könnten, da es in Oberneuland kaum Möglichkeiten zur Kindesbetreuung gibt. „Keinen einzigen Hortplatz haben wir. Das ist alles privat und über Mütter organisiert“, moniert die Beiratssprecherin. Oberneuland erfülle bereits seine Aufgaben im Stadtgefüge, jetzt solle die Stadt die ihren wahrnehmen, sagt die 51-Jährige. Und zeigt Verständnis für benachteiligte Stadtteile, welche vorrangig umgestellt werden sollen. Es sei allerdings ein Trugschluss, dass Eltern in Oberneuland grundsätzlich selbst für die Betreuung ihrer Kinder aufkommen könnten.

Grünen-Fraktionspressesprecher Makosch zeigt sich verständnisvoll: „Ich weiß, dass Oberneuland und Schwachhausen nicht glücklich darüber sind. Aber wir sind Haushaltsnotlageland, da können Dinge nur schrittweise erarbeitet werden.“ Dafür sei genau hingeschaut worden, wie es in den Quartieren aussieht, sagt Makosch. „Wir haben uns sehr stark an sozialen Indikatoren und an den Perspektiven für Kinder orientiert“, wobei zuvorderst in Stadtteilen mit höherer Arbeitslosigkeit und einem niedrigerem Einkommen sowie einer stärkeren Bildungsferne angesetzt werde. 

Kreyenhop führt an, dass der Stadtteil stetig wachse: „Dann muss eben auch für Infrastruktur gesorgt werden.“ Auf einem Sportplatz nahe dem alten Bahnhof soll ein Supermarkt gebaut werden. „Das ist ja schon hilfreich. Aber Polizei gehört für mich auch dazu und der Ortsamtsleiter“, der ehrenamtlich tätig ist, „gehört für mich auch dazu. Und natürlich Schule.“ Ein weiterer Ausbau des Streckennetzes der BSAG sieht Kreyenhop obendrein als überfällig an. „Aber noch schlimmer sind Fuß- und Radwege. Die sind eine Zumutung.“

In der kommenden Beiratssitzung am 13. Dezember 2016 wird der Beirat Oberneuland einen Hort fordern, der dem Stadtteil in staatlicher Form fehlt. Träger sowie Standort für eine neue Kita sind noch zu klären. 

Um Engagement geht es immer wieder in Oberneuland. Als es hieß, dass Menschen neu im Stadtteil ankommen würden, seien die Vereine schnell untereinander vernetzt und organisiert gewesen. Und auch sonst läuft im Stadtteil vieles über das Vereinsleben. Aktiv sind beispielsweise die Evangelische Kirchengemeinde Oberneuland, die Pfadfinder und die Stiftung „Tabea“, die Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche fördert und zudem von Armut betroffene Menschen unterstützt. 

Carina Albers und ihre Kollegen Aliny Stengel und Sebastian Ziske wiederum sind Ansprechpartner für die Jugendlichen, die montags bis freitags von 15.00 bis 21.00 Uhr den offenen Jugendtreff „Sasu“ (Sammelsurium) der Bürgerinitiative Jugendzentrum Oberneuland besuchen. Hier können die Kids Sport machen, kochen, Hip Hop tanzen, oder Hausaufgabenhilfe bekommen, zumeist kostenlos. „Es geht um den Austausch Gleichaltriger über gemeinsame Hobbys“, sagt Ziske. Das fühle sich für die Heranwachsenden „wie ein zweites Zuhause“ an. „Hier ist immer was los“, sagt Stengel und Albers ergänzt: „Aber hier wurde auch super viel gemacht und investiert.“ 

Karl-Heinz Müller und Ehefrau Christiane, Schriftführerin im Förderkreis, geleiten zu einem weiteren Wahrzeichen Oberneulands, den Lür-Kropp-Hof. Und wie es auf einem „Dorf“ nun mal so ist, läuft einem dabei zufällig der „Bürgermeister“, wie Ortsamtsleiter Jens Knudtsen genannt wird, über den Weg. In Oberneuland ist es üblich, dass der Amtsvorsteher auch Trauungen vollzieht. Die Eheschließungen, die im Hochtiedshuus des Lür-Kopp-Hofs stattfinden, sind heiß begehrt, erklärt Christiane Müller. „Zum Heiraten ist das wirklich schön. Aber die Oberneulander feiert hier alles mögliche.“ Müller zeigt auf das weitläufige Gelände. „Das ist schon sehr hübsch hier. Und es ist natürlich auch die Stadt Bremen.“ (Autorin: Annika Mumme)