Osterholz: Von Klein-Manhattan zum Vorbild

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Mit dem Projekt „QuerBeet“ ist seit 2014 ein Urban Gardening-Konzept in Osterholz entstanden. (Foto: Jonas Völpel)

Viel Grün, rustikale Höfe in ländlicher Umgebung und ein kulturübergreifendes Miteinander, das stetig ausgebaut wird. Dazu ein großer Plan aus den 70er-Jahren, der den Stadtteil bis heute prägt. So lässt sich einer der östlichsten Stadtteile Bremens beschreiben.

Lange hatten Osterholzer Ortsteile wie Tenever und Blockdiek mit Problemen, die auch aus städtebaulichen Maßnahmen resultierten, zu kämpfen. Diese Konsequenzen sind heute in erheblich geringerem Maße sichtbar. Der 37 554 Einwohner starke Stadtteil nimmt heute oftmals sogar eine Vorbildfunktion für positive Entwicklungen im Bremer Osten ein – für Bremen, für Deutschland. 

Tenever. Der Blick wandert hinauf. Er klettert die Beton-Fassade entlang, bis er auf dem Dach des 21-stöckigen Gebäudes in der Neuwieder Straße 23 angelangt ist. Osterholz-Tenever, oder wie es seit einer Werbekampagne zum Programm des „Stadtumbau West“ genannt wird „OTe“, legt allmählich den Ruf „Klein-Manhattans“ ab. Nach wie vor zu langsam finden einige Anwohner. Aber so ein Prozess benötige auch Zeit, da sind sich fast alle einig. 

Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Perspektivlosigkeit

In den 70er-Jahren ist das Quartier als „Demonstrativbauvorhaben“ entstanden. 2004 begann dann die erste Abrissphase. 2007 ist es schließlich, dass der Großteil der Beton-Riesen saniert und ein weiterer Teil zurückgebaut ist. So wird kurzerhand Leerstand beseitigt. Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Perspektivlosigkeit sind damit jedoch nicht behoben.

Neue Projekte werden gestartet, zumeist durch „WIN“- (Wohnen in Nachbarschaften) und „Soziale Stadt“-Mittel gefördert. Bereits bestehende Initiativen gestalten neue Angebote, um die gewonnene Motivation zu nutzen. Auch an besagter Werbekampagne wird zu der Zeit gefeilt und Slogans wie „OTe häh?“ oder „Sach nix gegen Ote!" kleiden Straßenbahnen oder umhüllen Litfaßsäulen. Erst in einer zweiten Kampagnenphase wird aufgelöst, was „OTe“ bedeutet. 

Eine Imagekampagne, die zum Nachdenken anregen sollte, sagt Tenevers Quatiersmanagerin Katrin Höpker, die seit drei Monaten im Amt ist. Durch den damaligen Rückbau, aber auch durch die aktuelle Gesamtlage weitet sich derweil ein neues Problem aus: „Wir sind ein sehr kinderreicher Stadtteil, da haben wir hier mit der Gewoba auch einen ganz wichtigen und starken Partner.“

Die Wohnbaugesellschaft unterstütze auf Anfrage Projekte und baue zudem Kinderspielflächen. Was Tenever aber zeitnah benötige seien Kita-Plätze, nicht zuletzt, weil die Gewoba hier ein weiteres Mal Wohnraum errichten wird und auch Zuzüge sowie das Übergangswohnheim zu berücksichtigen seien. Die 45-Jährige erzählt von einer hohen Akzeptanz der Anwohner im Quartier untereinander. Die Aktivierung auch dieser Menschen gehöre zu Höpkers täglicher Arbeit, „aber auch, zu gucken, was braucht der Ortsteil Tenever, was brauchen die Menschen hier“. 

Über das Essen vernetzen

Der Blick, der eben noch an einer steilen Hauswand emporglitt, wandert nun auf die andere Straßenseite. Eine Grünfläche mit Beeten und Sitzgelegenheiten taucht gegenüber des Hochhaus-Waldes auf. Das ist hier in Tenever, wie in ganz Osterholz, nichts Ungewöhnliches, sagt Roland Wozniewski. „Tenever – man denkt immer, hier gibt’s nur Hochhäuser und Arbeitslosigkeit.“ Wozniewski, Diplom-Biologe und erster Vorsitzender des „Treffpunkt Natur & Umwelt“, zeigt auf die rund 8500 Quadratmeter große Grünfläche. „Aber es gibt wahnsinnig viele schöne grüne Ecken eben auch hier in Tenever.“ 

Mit dem Projekt „QuerBeet“ ist seit 2014 ein Urban Gardening-Konzept erwachsen, das den Menschen im Quartier nicht ausschließlich, aber auch Lehre zur Pflanzen- und Tierwelt bieten soll. Der Kontakt untereinander sei hierbei ebenfalls von Bedeutung. Anwohner, die auf jeweils zehn Quadratmetern ihr eigenes Stück Land bewirtschaften, können zudem den restlichen Platz gemeinsam gestalten und aktiv an einer Gemeinschaft teilhaben. Als Lohn für die Arbeit kann das selbst angebaute Obst und Gemüse geerntet werden. „Über alle Kulturen hinweg ist Essen einfach essentiell. Und darüber wollen wir die Leute miteinander vernetzen“, so Wozniewski. 

Eine Mitgliedschaft im Verein sei für das Mitgärtnern obligatorisch, pro Saison beträgt diese 48 Euro ermäßigt und 60 Euro, wenn der reguläre Beitrag gezahlt wird. Dafür müssen keine weiteren Leistungen erbracht werden. Der Verein setzt zudem auf Kooperationen mit Schulen, die weiterhin ausgebaut werden sollen. Zum „Abhängen und Chillen“ auf dem konzeptionell dreigeteilten Bereich – schulischer Bereich, Gemeinschaftsgarten und Projektfläche, auf der neue Ideen umgesetzt werden können – bedarf es keiner Mitgliedschaft. „Wir wollen die Anwohner aus Osterholz, aber im Speziellen natürlich die aus Tenever ansprechen“, generell solle es aber eine Fläche für alle Menschen sein, so Wozniewski. 

Das Wichtigste ist immer noch der Spaß

Vandalismus und Diebstahl sind auf dem Gelände kein Thema. Im Gegenteil: Anwohner bringen Saatgut und im Sommer auch mal ein Bier vorbei. Heute sind es sechs Hobby-Gärtner und -Farmer, die sich auf der Fläche einbringen. „Wir sehen unsere Verantwortung auch als Umweltbildungseinrichtung.“ Dennoch spiele das Soziale bei „QuerBeet“ eine wichtige Rolle. „Wir haben da diese grüne Fläche und wenn wir den Stadtteil nicht mit einbeziehen würden, dann wäre das nichts anderes als ein Müllhaufen“, so Roland Wozniewski. Für den Verein werden stets Menschen gesucht, die sich ehrenamtlich engagieren und eigene Projekte initiieren möchten. 

Sowohl Wozniewski als auch Höpker nennen jeweils unzählige Einrichtungen, Initiativen und Projekte, die mehr als nur eine Verbesserung des Stadtteil-Images erreichen wollen. „Das ist in Bremen wahrscheinlich die höchste Dichte an kleinen Trägern, die sich im Stadtteil engagieren. Das 'Hood Training' ist eins davon, aber da gibt’s eine Menge mehr", sagt Wozniewski. Das Mütterzentrum sei zum Beispiel ein "Player", über welchen viele Projekte liefen und das den sozialen Zusammenhalt fördere. Beim „Hood Training“ um Projektleiter Daniel Magel und sein Team handelt es sich seit 2010 um ein kostenfreies, niedrigschwelliges Sport-Angebot für Kinder und Jugendliche. Das Projekt soll Möglichkeit geben, Freizeit sinnvoll zu gestalten und den toleranten Umgang mit anderen Kulturen zu lernen. Das Wichtigste dabei sei aber immer noch der Spaß. 

Und auch außerhalb der Ortsteilgrenzen Tenevers hat Osterholz starke Seiten zu bieten. So setzt sich Marina Neves da Silva für den sozialen Zusammenhalt im „Schweizer Viertel“ ein. Der „Nachbarschaftstreff am Siek“ vom Verein „Aktive Menschen Bremen“ besteht mittlerweile seit über 50 Jahren. „Wir bieten einen regelmäßigen Programmtag für Senioren“, so Neves da Silva. Desgleichen stünden Spielenachmittage, Konzerte und Grünkohlessen regelmäßig auf dem Plan. Unter dem wöchentlichen Kurs-Angebot befinden sich Sport, Tanz und Musik. Denn, so Neves da Silva, das wecke die Lebensgeister in jedem Alter. „Es kann geklönt oder auch getanzt werden.“ Der Tanztee sei ein Projekt, dass durch das Quartiersmanagement „Schweizer Viertel“ gefördert wird. „Es finden die regelmäßigen Quartier-Forum-Sitzungen bei uns statt, wo jeder Bürger mitreden kann“, sagt Neves da Silva. Sie schildert, dass dank ehrenamtlicher Mitarbeiter Menschen ein Anlaufpunkt geboten werden könne, um aus einer Isolation herauszukommen. 

Vielfältig und engagiert 

Monique Paladino ist seit nunmehr zwei Jahren sozialdiakonische Mitarbeiterin in der „Evangelischen Trinitatisgemeinde Blockdiek – Tenever“. Die 46-Jährige weiß um die Stärken im Stadtteil: „Ich nehme Osterholz als vielfältig und engagiert wahr.“ Für den Ortsteil Tenever stellt Paladino dieses Engagement besonders fest, da sie sowohl in der Stadtteilgruppe als auch im Arbeitskreis Tenever vertreten ist. Aber auch die Bewohner machten das Quartier lebendig. Die direkte Zusammenarbeit zwischen der Trinitatisgemeinde und dem Arbeitslosenzentrum Tenever ermöglicht es Paladino donnerstagvormittags eine offene soziale Beratung im Arbeitslosenzentrum anzubieten. Paladino begleitet in diesem Rahmen zu Amtsgängen, ist aber auch als Ansprechpartnerin für soziale Beratung tätig. Die sozialdiakonische Mitarbeiterin führt mehr als ein halbes Dutzend weiterer Anlaufstellen und Projekte auf. Und das bringt sie auf eine Idee: Eine Art Leitsystem – ein Info-Heft – mit sämtlichen Ansprechpartnern und Projekten im Stadtteil könne erstellt werden, um so eine Übersicht zu bieten. 

Der Blick wandert über die Grünfläche mit den Hochbeeten an der Neuwieder Straße, über den Mangold und die Kräuter, über die selbst gebauten Gartenmöbel, die Gewächshäuschen und die Feuerstelle. 10 179 Menschen leben in „OTe“, einem Ortsteil, der auf einem guten Weg ist. Monique Paladino sagt über Tenever: „Der Vergleich hinkt etwas, aber es ist ein bisschen wie in einem Restaurant. Da gab es vor vielen Jahren einen superschlechten Koch oder Köchin aus der Sicht der Gäste.“ Dieses Bild und diese Erfahrungen aus den Köpfen zu bekommen, das brauche Zeit. (Autorin: Annika Mumme)