Seehausen: Idylle mit Sorgen

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Der Erhalt der Schulen ist zurzeit das bestimmende Thema in Seehausen und Strom. (Foto: Jonas Kako)

Von der Schule aus 200 Meter weiter. Da, wo erst einmal nichts mehr ist, nur die freie Sicht auf das weite Land. Von dort das zweite Haus auf der linken Seite.“ So erklärt Beiratssprecher Ralf Hagens den Weg zum Ortsamt im ländlichen Hufendorf Seehausen, zu einem kleinen roten Backsteinhaus, rund 13 Kilometer vom Bremer Stadtkern entfernt.

Freundlich lächelnd steht Hagens vor dem Häuschen und begrüßt, wen immer er dort antrifft. Der gebürtiger Seehauser kennt einfach jeden im Dorf. In dem kleinen Häuschen warten weitere Seehauser: Elternsprecher, Lehrer, Vorsitzende des Fördervereins. Sie alle sind aufgeregt, haben viel zu sagen. Denn es geht um die Zukunft ihrer Schule, die Zukunft ihrer Kinder und nicht zuletzt die Zukunft des Stadtteils.

Seehausen und Strom. Stadtteile, in denen Industrie, Mensch und Tier sich arrangierten. Notgedrungen. In denen auch mal Schafe ausbüchsen und mit vereinter Kraft eingesammelt werden müssen. Stadtteile, in denen im Winter der Schlitten mit zur Schule gebracht wird und Schlittenfahren in den Pausen auf der Tagesordnung steht. Diese Stadtteile, die von ihrer dörflichen Gemeinschaft, ihren bewusst kleinen Strukturen leben, kämpfen um ihre Zwergschulen.

Auch der Seeehauser Ortsamtsleiter Gerd Aumund ist zu dem Backsteinhaus gekommen. Obwohl der 65-Jährige erst seit dem 1. Juli 2016 Leiter der örtlichen Behörde ist, wird er durch die mögliche Schulschließung bereits stark in die Verantwortung genommen. Seit Ende April befasst er – und nahezu gesamt Seehausen – sich mit der drohenden Schließung der Grundschule; einem Konflikt, der weitgreifende Auswirkungen auf Leben und Entwicklung des Stadtteils haben könnte.

Stadtteil mit Schulproblemen

Das senatorische Ressort für Bildung prüft derzeit, ob sowohl die Einrichtungen in Strom als auch in Seehausen geschlossen werden sollen. „Es gibt wirtschaftliche Erwägungen, die Schulen, in der jetzigen Form nicht weiterzuführen“, sagt Michael Huesmann.

Der Abteilungsleiter der Bildungsbehörde sieht aber noch einen zweiten Grund für die Schließungen: die sogenannte „Zügigkeit“. Das bedeutet, die einzelnen Jahrgänge werden untergliedert, zum Beispiel Klasse 1a bis 1c, 2a bis 2c. Huesmann rechnet vor: „Zweizügigkeit mal die Anzahl der Kinder. Also vier Jahrgänge à zwei Züge, mal 20 Kinder gleich 160 Kinder.“ Das sei die maßgebliche Anzahl an Schülern an einer Bremer Grundschule, das definierte untere Maß, mit dem eine Schule wirtschaftlich arbeiten solle.

Für Seehausen und Strom ist diese Zahl unerreichbar. Ralf Hagens sagt, dass das kommende Schuljahr in Seehausen mit 33 Schülern nahezu gleich bleibe, in Strom besuchen 23 Kinder den Unterricht. Mehrere Klassenzüge sind angesichts der wenigen Schüler kein Thema, im Gegenteil, werden die Kinder doch Jahrgangsübergreifend unterrichtet – und das ganz bewusst als pädagogisches Konzept.

Hohe Sanierungskosten

Der Mindeststandard für Bremer Schulgebäude, sei bei den Einrichtungen in Strom und Seehausen nicht erfüllt, heißt es als weiteres Argument aus der Schulbehörde. Und die Sanierungskosten, die seitens Immobilien Bremen veranschlagt wurden, seien zu hoch. 1,8 Millionen Euro soll die Schulsanierung in Seehausen, 600 000 Euro in Strom betragen.

Eltern, Lehrer, Ortsamtsleiter und allen voran Beiratssprecher Hagens empfinden die Beträge als unrealistisch und nicht nachvollziehbar. Hagens kritisiert, dass es zu keiner Zeit eine vollständige Auflistung der Kosten gegeben habe. „Hier werden Zahlen in den Raum gestellt, die wir nicht nachvollziehen können. Da wird eine Gesamtsumme genannt, keine Teilzahlen. So können wir kein Verständnis für die Zahlen entwickeln.“

Ein genaues „Aufdröseln“ der Zahlen kann die Bildungsbehörde, die nur Mieter beider Einrichtungen sei, nicht leisten. „Ich muss mich bei den Zahlen darauf verlassen, was Immobilien Bremen uns zuliefert“, sagt Huesmann und betont: „Es geht nicht darum, eine Schule schick zu machen, sondern darum, einen Schulbetrieb gewährleisten zu können, der allen Sicherheitsaspekten entspricht.“

Hagens hingegen beteuert: „Unsere Schule ist in einem einwandfreien Zustand! Fenster sind dicht, die Heizungen funktionieren. Überhaupt das Ansinnen, eine solch intakte Schule mit solchen Erfolgen, was pädagogische Leistung und Sozialverhalten anbelangt, in Frage zu stellen, das ist ein Unding. Wir sehen hier keine Begründung für die Schulschließung. Wir haben schon mehrfach Verantwortliche eingeladen, sich die Lage vor Ort anzusehen. Aber das ist schwierig.“

Ortsbegehung geplant

Immerhin: Nach den Sommerferien plant Mustafa Güngör, Vorstandsmitglied der SPD-Fraktion und Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft, sich selbst ein Bild von der Situation im Ort machen. Von der Begehung erhoffen sich die Seehauser, die Vorteile der Schule hervorheben zu können.

Der Stadtteil habe sich in der Vergangenheit vieles gefallen lassen und Nachteile in Kauf genommen, die den Stadtteil nicht unbedingt attraktiver gemacht hätten. Zudem bedeuteten diese massive Einschnitte in das Leben der Menschen im Ort, sagt Ortsamtsleiter Gerd Aumund. Der Bau der A281, mit dem geplanten Wesertunnel beispielsweise. „Die Baggergut-Deponie, Arcelor Mittal mit den Staubemissionen und Schlackeabfällen, das Klärwerk – dieser Ort hat so viel für Bremen getan und jetzt ist Bremen mal dran, etwas für uns in Seehausen zu tun.“

Das kleine Schulgebäude wurde Anfang der 60er-Jahre erbaut und beherbergt aktuell Schüler im Alter von sechs bis zehn Jahren. Der Fokus der Schulleitung liegt auf der individuellen Förderung des Kindes, Inklusion werde hier schon seit vielen Jahren praktiziert. Die Kinder besäßen hier ausgeprägte Sozialkompetenz, weil alles im kleineren Kreis stattfindet. Dem soll nun ein Ende gesetzt werden – oder auch nicht. Denn noch haben die Deputierten nicht entschieden, nicht alle Fakten geklärt und nicht alle Aspekte berücksichtigt.

Harte Fakten, weiche Faktoren

Die „harten Fakten“ seien von oberster Priorität, aber auch „weiche Faktoren“ spielten eine Rolle, sagt Michael Huesmann von der Bildungsbehörde, selbst Vater. „Aus der Elternperspektive hat man Sorgen und Nöte, die einen bewegen. Man ist nicht immer einverstanden, was Schule oder Bildungsadministration machen.“ Weitere Faktoren, die die Menschen in den Dörfern direkt betreffen, sollen ebenfalls in die Prüfungen einfließen.

Für Beiratssprecher Hagens ist die Diskussion um die Einrichtungen eine emotionale Debatte: „Das, was diese Schule für das Dorf ausmacht, das steht nirgends auf dem Papier.“ Die Gegebenheiten, was mit dem Ort passiere, dass Menschen nur wegen der Strukturen hergezogen seien, vor allem aber die Zukunft der Kinder – das alles spiele nach Hagens für das senatorische Ressort keine besondere Rolle. „Bremen hat eine Verantwortung für diesen Ortsteil; hier wurden Baugebiete ausgeschrieben, mit der Voraussetzung, dass hier Kindergarten, Schule und Infrastruktur vorhanden sind. Auf der einen Seite wird bezahlbares Bauland vermisst und gleichzeitig lässt Bremen diesen Teil hier verkommen“, sagt Lehrerin Stephanie Moschkau.

Das wichtigste sind dei Kinder

Ob Strom oder Seehausen, für sich oder miteinander, ob Schule, Sport oder Dorfgemeinschaft – alles ist miteinander verzahnt und kaum zu trennen. Die Schließungen wirken sich unmittelbar auf die Strukturen beider Stadtteile und das jeweilige Leben aus, dessen sind sich die Vertreter beider Orte sicher. Mit den Schulen in Seehausen und Strom würden die Kinder auch ihre kurzen Wege und die Eltern ein Sicherheitsgefühl verlieren.

Zudem hätten viele Kinder Sorge, dass sie ihre Freunde nicht wiedersehen, würde die Schule geschlossen. Sie verstehen, dass es den Konflikt um eine mögliche Schulschließungen gibt, haben viele Fragen und Ängste und Eltern sowie Lehrer müssen Verständigungsarbeit leisten, um die Schüler nicht zu sehr zu belasten. „Das Wichtigste bei alledem sind unsere Kinder! Das vergisst die Politik bei der Prüfung“, sagt Ortsamtsleiter Aumund.

Wohin mit Sportgruppen?

Doch nicht nur die Schüler wären von der Schließung in Seehausen betroffen. Die Dorfgemeinschaft, vor allem der sportliche Teil, findet ebenfalls hier statt. So hat auch der TSV Hasenbüren e.V. an der Schule seinen Standort. 300 Mitglieder seien anderswo im Ort nicht unterzubringen, sagt Aumund, 1. Vorsitzender des Sportvereines. „Wir haben Untersuchungen angestellt und in benachbarten Turnhallen nachgefragt. Da hätten wir keine Möglichkeit unterzukommen. Alle Turnhallen im Umkreis sind komplett besetzt.“

Damit würde der gesamte Sport-Indoor-Bereich im Ort wegfallen. Das soziale Netzwerk Seehausens stehe somit auf der Kippe. Kontakte werden in der Schulzeit geknüpft. Würde dies entfallen, zerfalle auch die Dorfgemeinschaft. Die Kinder würden sich nicht weiter überwiegend hier aufhalten, der Jugendtreff an der Kirche sei ebenfalls gefährdet. Die Konsequenz: Das Dorf würde aussterben. Der Gedanke ist weit vorgegriffen, aber es ist einer, der in den Seehauser Köpfen kreist und für schlaflose Nächte sorgt.

„Wir halten zusammen"

Den Schulstandortplan haben Seehausen und Strom – als einzige Stadtteile – nicht auf offiziellem Weg erhalten. Über Woltmershausen habe erst Strom und dann Seehausen Ende April erfahren, was geplant sei, sagt Aumund. „Es kann kein Zufall sein, dass gerade Strom und Seehausen die Planung nicht bekommen haben, wo dort die Schließungen geplant sind.“ Ralf Hagens ergänzt: „Aber wir – Strom und Seehausen – wir sind das Niedervieland. Wir halten zusammen!“

So bangen die Stadtteile gemeinsam um ihre Schulen. Auch in Strom sorgen sich Beirat und Ortsamt um den Erhalt des gesamten Stadtteils. Das Schicksal der Schule sei unmittelbar an das der künftigen Struktur Stroms geknüpft. In dem Schulgebäude wird nämlich nicht nur unterrichtet; hier befindet sich auch das Ortsamt. Somit ist die Schule das einzig öffentliche Gebäude. Der Sportverein würde ebenfalls seinen Standort verlieren. Laut Ortsamtsleiter Wilfried Frerichs, würde es mit der Schließung „für Zuzugswillige immer unattraktiver, nach Strom zu ziehen. Der Ortsteil läuft Gefahr, zu überaltern.“ (Autorin: Annika Mumme)