Die Vahr: Raum für Vielfalt

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Die Vahr ist heute eines der Parade-Beispiele für positive Quartiersentwicklung in Bremen. (Foto: Jonas Völpel)

Die Vahr: Der Stadtteil, der 1185 erstmals urkundlich genannt wird, ist heute eines der Parade-Beispiele für positive Quartiersentwicklung in Bremen. Sie steht zudem dafür, was gut verzahnte Behörden-, Instituts- und Vereinsarbeit bewirken kann.

Seit 1998 gibt es im Rahmen des Bund-Länder-Programmes „Soziale Stadt“ Quartiersförderungen wie die kommunale Unterstützung „Wohnen in Nachbarschaften“ (WiN).Über 300 Projekte, die auch im Stadtteil viel erreicht haben und nach wie vor erreichen, werden über die Jahre unter diesen Programmen auf die Beine gestellt. Politik, Einrichtungen, Quartiersmanagement, vor allem aber auch die Anwohner beteiligen sich aktiv an verschiedenen Konzepten und neuen Zielsetzungen, damit ein soziales Miteinander in der Vahr noch besser umgesetzt und gelebt werden kann. Und die Vahr lebt (es).

Das Netzwerk wird von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Einrichtungen und Behörden immer wieder als außerordentlich gut strukturiert bezeichnet. Aktive Bürgerbeteiligung ist in der Vahr ebenfalls stark ausgeprägt. In den sogenannten „WiN-Foren“ wird über die einzelnen Projekte abgestimmt.

Vom Chor bis zum internationalen Frühstück

So auch im Falle des seit 2010 bestehenden Familien- und Quartierszentrum Neue Vahr Nord. Sechs Jahre feilen die Träger an dem Konzept, damit am Ende das entsteht, was es heute ist: Ein Treffpunkt für alle Kulturen und Menschen jeden Alters. Eine Art Mehrgenerationenhaus ist erwachsen und hat seinen festen Sitz in der August-Bebel-Allee 284. „Ein zentraler Anlaufpunkt – die Begegnungsstätte der Vahr Nord und das in der Komposition mit der Kirche. Aber wir sind säkular und an manchen Punkten merken wir auch, dass das wichtig ist“, sagt Kirsten Noltenius, Sozialarbeiterin und Koordinatorin des Familien- und Quartierszentrums. Der Fokus läge auf der Begegnung zwischen Jung und Alt.

Sieben verschiedene Institutionen, die gemeinsam die Trägerschaft des Zentrums bilden, sorgen für das reiche Programm und ein vielfältiges Angebot, das in dem Zentrum stattfindet. Vom afrikanischen Trommel-Kurs über den Vahrer „Löwen“-Chor bis hin zum internationalen Frühstück. „Ein Ort, wo Menschen soziale Teilhabe leben können, – Lebensqualität erfahren – ohne viel Geld dafür zu lassen“, schildert Noltenius. Finanziert wird das Ganze vor allem durch Beantragung der WiN-Projekte und durch Fördermittel.

Herzstück des Familien- und Quartierszentrums ist das „Treffpunkt Café“. Hier wird gespielt, gegessen und in Büchern, die in dem Büchertauschregal bereit stehen, ausgiebig geschmökert – und das auch ohne viel Geld in der Tasche. Denn Konzept des Cafés ist es, schon für sehr kleines Geld eine leckere Mahlzeit zu bekommen, zum Beispiel ein selbst gebackenes Stück Kuchen für 0,50 Euro.

Verständnis für die Lebenslagen der Menschen

Bei schönem Wetter ist es in der Kinderspielecke im Gebäude eher ruhig. Draußen auf dem Hof können sich die Kleinen und Großen auf dem Spielplatz, der für alle Generationen Spaß bietet, austoben. Sollte es doch einmal regnen, oder wird ein Raum im Innenbereich für andere Aktivitäten wie dem Handarbeitskurs benötigt, dann gibt es hier unter anderem den Medienraum oder die Orangerie, in denen die Deutschkurse oder der Elterntreff stattfinden. Eine junge Mutter genießt gerade das gemeinsame Frühstück beim Elterntreff und sagt, dass sich durch die Projekte des Familien- und Quartierszentrums bei ihr eine stabilere Lebenssituation ergeben habe. „Ich bin von Anfang an dabei. Hier ist eine familiäre Atmosphäre und es wird zugehört.“

Auch das Angebot „MahlZeit“ – ein weiteres Beispiel, das in der Neuen Vahr auf den Weg gebracht wurde – zeigt, wie Quartiersförderung sinnvoll umgesetzt werden kann. Seit 2008 gibt es das Projekt, bei dem ebenfalls verschiedene Einrichtungen und Institutionen zusammenarbeiten und sonntags kostenlos einen Mittagstisch für Kinder und deren Familien bereitstellen. Auch hier kümmern sich Menschen ehrenamtlich um Menschen – mit viel Herzblut, Wärme und einem offenen Ohr. Noltenius sagt, dass ein Verständnis für die Lebenslagen der Menschen wichtig sei.

Eine Kleiderkammer ist ebenfalls in dem kleinen Anbau zu finden – hier ist alles kostenfrei und für jedermann, sagt der diakonisch-Pädagogische Mitarbeiter des Gemeindezentrum Heilig-Geist-Kirche Christoph Buße. „Ich selber trage Kleiderkammer.“ Die vielen Träger und Projektleiter, das Gemeindezentrum, die Vereine und Gruppen im Familien- und Quartierszentrum und die sozialen Einrichtungen: Sie alle arbeiten eng zusammen, damit erreicht werden kann, was als Ziel gesetzt wurde: „Wir nehmen uns gegenseitig wahr im Stadtteil“, so Noltenius. Buße fügt hinzu: „Die Familien begleiten, den Senioren einen Raum geben, Nachbarschaften fördern. Dadurch, dass sie sich hier begegnen, stehen sie nicht mehr alleine.“ Eine Plattform bieten und Wegweiser, Berater sein, auch untereinander. So begleitet auch schon mal eine der Zentrumsbesucherin, die übersetzen kann, eine weitere Besucherin zum Arzttermin. Das Netzwerk greift auch hier.

Ebenso wie bei den unterschiedlichen Kindergarten- und Spielkreisgruppen, die gemeinsam auf dem Spielplatz tollen. Ein kurzer Blick hinter die Tür zu einem der Spielkreise: Hier ist es hell und bunt – nicht zuletzt, weil die Kinder gerade beim Kleben, Basteln und Malen sind. Die Probleme und Sorgen der Erwachsenenwelt sind hier nicht zu spüren. Und das Thema Integration? Hier ist es keines, da Integration einfach gelebt werde, etwas ganz Normales sei.

Die Verantwortung liegt zum Großteil bei der Gewoba

Viel häufiger sollte es Projekte, Gruppen und Konzepte geben, wie sie im Familien- und Quartierszentrum stattfinden; schnell umsetzbar, weniger bürokratisch. So sieht es die Leiterin des Gewoba-Geschäftsbereichs Vahr Petra Kurzhöfer. Gerade, wenn mehrere Akteure im Spiel sind, kann es schwierig werden, das Vorhaben schnell zu verwirklichen. „Die WiN- und die Soziale Stadt-Projekte laufen über den Quartiersmanager Dirk Ströver, der schon ganz viel an Bürokratie vorwegnimmt und die Wege ebnet, damit es für die Antragsteller leichter wird.“

Das Gebäude, in dem das Familien- und Quartierszentrum untergebracht ist, gehört dem Wohnungsunternehmen. Es wird mietfrei zur Verfügung gestellt; nur die Nebenkosten sind zu zahlen. „Wir sind im Programm Soziale Stadt stark verankert. Wir arbeiten mit dem lokalen Netzwerk zusammen. Im Grunde genommen: Jede Aktivität, die im Stadtteil ist, unterstützen wir gerne“, so Kurzhöfer.

Die Gewoba ist maßgeblich für das Gesicht des Stadtteils mit verantwortlich: Das Stadtbild des Bremer Ostens litt unter dem Zweiten Weltkrieg, die Menschen hatten keine Wohnungen. So errichtete die Wohnungs-Baugenossenschaft die „Neue Vahr“, wo – wie der Volksmund sagt – heute das Herz der Gewoba liegt. Kurzhöfer verbindet mit der Vahr: „Eines der größten Wohnungsgebiete, das im Nachkriegsdeutschland entstanden ist – eines der bundesweit größten, wenn nicht sogar Europas. Es sind damals 10 000 Wohnungen in einem Zeitraum von 1957 bis 1961 entstanden.“

Damit die Mieter sich wohlfühlen, würde jedes Jahr in Sanierungen, Renovierungen, Wärmedämmung und Pflege der Grünanlagen investiert. Der sogenannte Sauerstoffpfad und der Rosengarten sind besondere Highlights für die Mieter in der Vahr. „Nur vor die Tür gehen und die zahlreichen Angebote nutzen“, beschreibt es ein Bewohner aus der Neuen Vahr Nord. 

Bürokratie steht neuen Projekten im Weg

Nicht selten allerdings steht die Bürokratie neuen Projekten im Wege. Auch im Falle des Familien- und Quartierszentrum hat die Planungszeit bis 2010 sechs Jahre betragen. Und nicht immer werden Pläne, die auf dem Papier festgehalten sind, auch so umgesetzt; manchmal bleiben es Pläne. Es scheitert teilweise an der Zusammenarbeit unterschiedlicher Ressorts, – Überschneidungen der Zuständigkeitsbereiche – an Fördergeldern und den Anträgen.

Direktere Wege und schnellere Handlungsmöglichkeiten sind es, die den Akteuren erlauben würden, aktiver und effizienter Konzepte zu gestalten und diese binnen kurzer Zeit umzusetzen. Denn es ist mit großem persönlichem Einsatz verbunden, diese Projekte so lebendig zu gestalten und aufrecht zu erhalten. Kirsten Noltenius sagt, dass sie Selbsthilfeprozesse begleitet und es immer eine große Freude für sie sei, dabei zuzusehen, wie Menschen sich entfalten können. Aber, „die Regenerationszeiten werden immer weniger, zum Teil auch durch bürokratische Hürden.“ Deshalb lautet der Appell aller Beteiligten: am besten feste, bezahlte Stellen und die Verstetigung der Projekte, speziell des Elterntreffs, damit nicht jährlich die Hürde der Anträge genommen werden müsse. (Autorin: Annika Mumme)