Walle: Frischer Wind am Hafen

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Viel hat sich in den vergangenen Jahren in der Überseestadt getan. Und viel mehr soll noch kommen.  (Foto: Jonas Völpel)

Bunt, kribbelig, jung, Walle. Jung nicht etwa, weil der Stadtteil in seiner Geschichte kaum Jahre vorzuweisen hätte – immerhin wurde Walle im Jahr 1139 erstmals urkundlich erwähnt. Vielmehr liegt Walle in Bremen weit vorn, was den Altersdurchschnitt angeht.

Doch ob nun jung oder etwas älter – für alle Betrachter gleichermaßen ragt im Ortsteil Westend der Fernsehturm empor. Hochgewachsen, wie er ist, dient er vielen Menschen in Walle und umzu als Orientierung. Nahe dem Fernmeldeturm und als Anlaufstelle für Einkauf, Kulturangebote und Freizeitbeschäftigung sind das Walle-Center, der „Kulturhaus Walle - Brodelpott“ und der Waller Park mit dem angrenzenden Waller Friedhof gelegen. Walle wurde vor Jahrzehnten von der Hafenarbeit geprägt, selbst vom Friedhof aus ist ein Teil der Industrie sichtbar. Doch von der harten Arbeit im Hafen der Vergangenheit ist hier nicht mehr viel übrig. Längst ist hier etwas anderes entstanden, ein neuer Ort, der seinesgleichen sucht. 

Die Überseestadt ist Walles jüngste Ecke und noch fremdeln viele Waller mit dem neuen Ortsteil in der unmittelbaren Nachbarschaft. Zumal man sich arrangieren muss, im übrigen Walle, aber auch in der Überseestadt selbst. Wohnen, Arbeiten, die Industrie - all das soll dort miteinander vereint werden. Und das brauche noch Zeit, sagen einige, die schon dort sind. 

Viel ist entstanden, viel mehr soll noch kommen

Aber es geht voran, wie ein Anwohner erzählt: Es rieche gar nicht so streng, wie er das vermutet hatte in der Überseestadt. Und das, was man riecht, sei okay. Aber der Verkehr, der sei ein Knackpunkt: „An der Infrastruktur kann auf jeden Fall noch gearbeitet werden. Und an der Lärmbelästigung durch die Lkw.“ Die Querung der Hauptstraßen stelle ebenfalls ein Problem dar; für viele gar eine Barriere, die daran hindere, den Ortsteil zu besuchen. Vor allem die Nordstraße ist ein Verkehrsknotenpunkt, der erst einmal überquert werden muss, bevor die Überseestadt erreicht ist. Ein Gutachten zu diesem Thema ist bereits in Arbeit, es soll die Verkehrsströme nachvollziehen; bis Ende dieses Jahres soll es abgeschlossen sein. 

Auch gebaut werden soll noch eine Menge in der Überseestadt. Viel ist entstanden, viel mehr soll noch kommen.  Clemens Paul, geschäftsführender Gesellschafter der Bremer Firma Justus Grosse sagt: „Wir haben am Anfang auch nicht so richtig daran geglaubt. Das ist ja immer so mit neuen Entwicklungen.“ Die Skepsis dem Projekt Überseestadt gegenüber beruhte vor allem darauf, dass das Hafengebiet brach lag und große Teile für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Und es stellte sich die Frage, ob Menschen in diesem Bereich Walles überhaupt wohnen möchten. „Heute", so Paul, "muss man niemandem mehr erklären, wo die Überseestadt ist." Für viele Menschen und Unternehmen habe sie eine hohe Anziehungskraft.

Bezahlbaren Wohnraum einbinden

Zwischen den neuen Gebäuden stehen auch immer wieder Objekte, die einige Jahre auf dem Buckel tragen – in neuem Gewand. Der Speicher XI, in dem auch die Hochschule für Künste ihren Standort hat, ist ein solch älterer, imposanter Koloss.

Es werden aber nicht nur Büroräume mit den neuen Gebäuden hochgezogen. Eine ganze Hafen-Stadt ist entstanden: mit Supermarkt, Restaurants, Bekleidungsgeschäften und vielem mehr, was die Menschen anzieht. Auf dem insgesamt 300 Hektar großen Areal der Überseestadt hat die Firma Justus Grosse maßgeblich bei der Bebauung mitgewirkt. Auch im Bereich des Sozialen Wohnungsbaus. Seit Mitte 2000, als der Bremer Senat mit dem Masterplan die Umstrukturierung des Hafenareals beschließt, wird immer weiter konzipiert, auch daran, wie sich bezahlbarer Wohnraum in der Überseestadt einbinden lässt. „Wir haben mit der Marcuskaje - mit der Gewoba zusammen – jetzt das erste öffentlich geförderte Projekt in der Überseestadt fertiggestellt. 150 öffentlich geförderte Wohnungen, die ab circa 6,10 Euro zu mieten sind“, erzählt Paul. Ansonsten lägen die Neubaumieten bei circa 10 bis 13 Euro pro Quadratmeter. 

Erstes Projekt der Bremer Firma ist eines dieser alten Gebäude, die schon vorhanden sind. „Wir selber haben im Jahr 2005 den Speicher I gekauft, und da war in der Überseestadt gar nichts“, sagt der 48-Jährige. Damals wird das Gebäude noch als Lager genutzt. „Das Thema Loft kannte man aber aus anderen Städten, wo es sehr erfolgreich war.“ Das Konzept zum rund 36000 Quadratmeter großen Komplex an der Konsul-Smidt-Straße wird innerhalb von fünf Jahren entwickelt und ist nach eineinhalb Jahren vermietet.

„Hier muss mehr Leben in die Bude kommen.“

Walles Beiratssprecher Wolfgang Golinski ist überzeugt vom Riesenprojekt Überseestadt: „Der Ortsteil ist natürlich im Moment etwas besonderes, weil er im Entstehen ist. Es ist viel Bewegung da. Es gibt sicherlich auch noch Probleme, das ist klar“, denn angesichts der Planung und Bebauung von 300 Hektar Fläche sei eben nicht immer alles auf Anhieb perfekt. 

Auch Wolfgang Golinski steht für die Vielfalt des Stadtteils ein: Zwar seien die Preise für Immobilien direkt am Wasser viel zu hoch, um dort eine soziale Durchmischung erzielen zu können. Wenn dies aber in der sogenannten ersten Reihe nicht möglich ist, so Golinski, "dann wollen wir aber doch, dass bitteschön in der zweiten Reihe mit der Durchmischung begonnen wird.“ Man wolle erreichen, dass dort Familien mit Kindern einziehen. "Hier muss mehr Leben in die Bude kommen.“ Und für die älteren Generationen sollen auch noch Angebote geschaffen werden.

Bei dem Projekt zum Schuppen III beispielsweise sei man auf einem guten Weg. Mit einem Sozialwohnungsanteil von 30 Prozent werde die vorgeschriebene Quote sogar übererfüllt. Man könne es auch dem Rest der Stadt nicht vermitteln, wenn nur Privilegierte in der Überseestadt wohnen würden, ein Gleichgewicht sei essenziell für die Planung eines gesamten Ortsteils. „Wir legen Wert auf Verständnis füreinander. In ganz Walle. Abschottung würde diese ganze Entwicklung hemmen.“

„Was mir dort noch fehlt, ist eine Eckkneipe."

Osterfeuerberg mit der Union Brauerei, die Vegesacker Straße mit der Kneipenszene und vieles mehr – Walle habe Besuchern und Einwohnern einiges zu bieten, sagt der Beiratssprecher. Und mit der Überseestadt wird das Leben in Walle noch ein bisschen attraktiver. Fast hundert Jahre sei dieses Gebiet für die Waller tabu gewesen, sagt Golinski. Heute ist es ein beliebter Ort, um zum Wasser zu gelangen, mit dem Hund spazieren zu gehen oder an den Gebäuden entlang zu flanieren oder den Tag in einem der Restaurants mit einem guten Essen ausklingen zu lassen.

Walle ist nicht nur, aber auch die Überseestadt. Wolfgang Golinski sagt: „Was mir dort noch fehlt, ist eine Eckkneipe. Zu einem Ortsteil gehört sowas: Wo sich die Bewohner treffen, man Klönschnack machen kann und wo man mal 'ne Frikadelle essen kann." Das wäre es, und dann noch ein bisschen mehr Miteinander: Sein Wunsch wäre es, dass nicht jeder in seinem Ortsteil lebt, sondern dass irgendwann alle gleichermaßen sagen: "Wir wohnen in Walle!"